„Good Bye Berlin“ von Constanza Macras und Dorky Park 

Staying alive

Constanza Macras und Dorky Park mit „Good Bye Berlin“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Zweieinhalb Stunden Elektrobeat, Sex, Drugs, viel nackte Haut und immer wieder der Tod – Constanza Macras bleibt sich auch bei ihrer vorerst letzten Inszenierung an der Volksbühne treu und überschüttet  das Publikum mit Bildern.

Berlin, 31/10/2025

Ein Tänzer betritt die leere Bühne mit langer glitzernder Schleppe, einem Hauch von Kostüm in schwarz und gold am Körper und federverzierten Ärmeln. Er steht in Mary Wigmann-Pose mit erhobenen Armen und auf den Fußspitzen tänzelnd bis er zusammenbricht – ein Friedensengel, eine Schöne der Nacht? Angeweht vom Hauch der Geschichte?

Auf der großen Projektionsfläche der halbrunden Bühne erscheinen Filme und Bilder und zeigen das Berlin der 20er und 30er Jahre. „Berlin ist stimulierend wie Arsen“, deklariert davor in Schwarz mit Melone der omnipräsente und überragende Darsteller und Tänzer Campbell Caspary. Bei den Worten „Berlin ist immer in Bewegung“ fällt er gekonnt von einer Treppe in eine Choreografie, bei der das 14-köpfige Ensemble von Dorky Park im Nachtclub-Tanzstil verdammt viel nackten Hintern zeigt: Gekonnt wackelnd, Beine spreizend mit schwarzem Stringtanga und im Kettenhemd. 

Es ist eines der vielen Zitate an diesem Abend, mit denen Constanza Macras  die goldenen 1920er Jahre heraufbeschwört – den „Tanz auf dem Vulkan“ vor dem Zusammenbruch der Republik und dem Aufkommen des Faschismus. Die Parallelen zum heute drängen sich auf. Das ist der rote Faden, der sich durch den sehr langen Abend zieht. Immer wieder wechseln die Bilder der losen Nummernfolge vom heute zum gestern und umgekehrt.

Leni Riefenstahl, das Berghain und Christopher Isherwoods Geist

Die eindrücklichsten Bilder entstehen in der Gleichzeitigkeit. Wenn vor einem Bergmassiv Tänzer*innen in weißen Hängerchen für einen Film von Leni Riefenstahl posieren und gleichzeitig auf der Rückseite der Kulisse andere im schwarzledernen Berghain Sadomaso-Outfit auf härteste Technobeats (Sound: Robert Lippock) bis zur sexuellen Ekstase tanzen. Dass immer mehr von ihnen den Berggipfel erklimmen, ihre weißen Hemdchen ausziehen und darunter das Schwarzlederne tragen, das ist die Botschaft.

Und die kann auch mal Bezug nehmen auf eine ganz aktuelle Debatte. „Wenn man genau hinschaut, sieht man immer den Faschismus“– „wie heute im Stadtbild“. Das sagt der Geist von Christopher Isherwood, genial dargestellt von Tänzer*in Steph Quinci. Quinci führt uns in einem Live-Video durch ihr Berlin mit Sally Bowls führt. Es ist eine der gelungensten Szenen und zeigt auch die Erfahrung, die Constanza Macras mit diesem Medium hat. Leider nur eine Szene zu dem doch titelgebenden Werk von Isherwood - man hätte sich den Geist öfter in der Inszenierung gewünscht. 

Genauso wie die Tanzikonen, die Constanza Macras im Vorfeld immer wieder zitierte. Tatsächlich ist es nur eine Künstlerin, Valeska Gerd, die Macras auf die Bühne holt und ihre bekannteste Nummer aus den 1920er Jahren zitiert: „Tod“. Die Video-Kamera fängt für Minuten nur das Gesicht von Darstellerin Fernanda Farah ein – die letzten Atemzüge eines Menschen, in seiner Radikalität bis heute einzigartig im Modernen Tanz. Eine eindrückliche Szene.

Staying alive oder der Tanz mit dem Tod  

Tanz und Tod - das Thema zieht sich auch durch den Abend, zeigen sich die Tänzer*innen in Skelettkostümen, während sie sich zu harten Beats in Street Dance–Manier schnell, präzise, synchron und technisch auf hohem Niveau bewegen. Das tun sie allerdings auch, wenn sie sich wie Schlangenmenschen um Pol Dance Stangen winden oder zum Discobeat der Bee Gees auf „Staying alive“ tanzen. Diese auf den ersten Blick slapstickartige Einlage bringt dann aber auf den Punkt, worum es Constanza Macras in unzähligen weiteren Bildern geht. Ums Überleben.

Jubel und schnelle Standing Ovation bei der Uraufführung von „Good Bye Berlin“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Der Applaus galt den 14 Tänzer*innen von Dorky Park, die über zweieinhalb Stunden eine enorme darstellerische, sängerische und tänzerische Leistung gezeigt haben. Und er galt Constanza Macras, die seit 2021 an der Volksbühne aufführt. Der neue Intendant der Volksbühne, Matthias Lilienthal, plant mit den Choreografinnen Florentina Holzinger und Marlene Monteiro Freitas. Macras, heißt es laut Medienberichten, ist im Gespräch mit dem Senat.

Ein Gutteil des Applauses am Premierenabend galt also auch dem, was Constanza Macras an der Volksbühne hinterlassen wird. Dazu gehört jetzt auch „Good Bye Berlin“. 

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern