„The Past“ von Constanza Macras / Dorky Park, Tanz: Ensemble

„The Past“ von Constanza Macras / Dorky Park, Tanz: Ensemble

Back to the Present

„Memory is Fragile“ – Constanza Macras und Dorky Park beim Henschel Verlag

Eigentlich ist der Grund für die Publikation ein freudiger: Dorky Park, das von Constanza Macras in Berlin gegründete Tanzensemble, feiert 20 Jahre. Doch mit dem vorläufigen Aus als Hauschoreografin an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wirkt der Titel wie ein Vermächtnis – Erinnerung ist zerbrechlich.

Berlin, 19/11/2025

Das erste Foto im Buch zeigt eine junge Frau mit einem breiten Lachen im ungeschminkten Gesicht – voller Lebenslust und mit einem Ziel: Tänzerin zu werden. Constanza Macras 1992 auf dem Weg von Buenos Aires in die Welt des Tanzes, die sie in Amsterdam, in New York und andern Orten Europas sucht und nicht findet. Macras Traum vom Leben als klassische Tänzerin scheitert schon bei den Auditions. Dass sie sich stattdessen als Modell in Amsterdam durchschlägt, erinnert an den Kultfilm „Fame“. Für Macras endet die Laufbahn allerdings nicht hiermit, sondern im Berlin der 90er Jahre, dem Berlin nach dem Mauerfall. Ab hier wird diese Reise durch die Welt der Constanza Macras auch zu einer Reise in die wilden Jahre Berlins vor dem Wandel in die vermeintliche Hochglanzschönheit, als die sich die Hauptstadt heute gerne zeigt.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Dauerparty in Abbruchhäusern, eine ehemalige Fleischerei wird zum Spielort von Tamagotchi Y2K, dem Vorgänger von Dorky Park. Die Polizei schiebt Sondereinsätze wegen nächtlicher Ruhestörung und die Fangemeinde folgt Constanza Macras und ihrer Bande durch das nächtliche Berlin. Als Pop-Up treten sie und ihre Tänzer*innen in freien Theaterhäusern auf, wie den Sophiensælen, dem Theater am Halleschen Ufer oder der Tanzfabrik. 

„Immer lag ein Flair von Rebellion und Ronja Räubertochter in der Luft“, schreibt Tanzjournalist Arnd Wesemann auch heute noch spürbar euphorisch in seinem Beitrag im Buch. Und vergisst dabei nicht den Abend zu erwähnen, an dem Sasha Waltz als Mitintendantin die Berliner Schaubühne eröffnete und Constanza Macras in der Herrentoilette des Hauses ihre Choreografie „Dolce Vita 2000“ spielte – zum Entsetzen der Boulevard Presse und zum Ergötzen der Fans. 

Subkultur trifft auf Hochkultur. Das sind die berühmten Nullerjahre, in denen in Berlin noch nicht alles in Stein gemeißelt war und von denen Menschen wie Constanza Macras profitierten. Es ist die Zeit des Ausprobierens, aus der sich das Gesamtkunstwerk Constanza Macras und Dorky Park entwickeln. Das sind die „Memories“, die bei der Lektüre noch einmal zum Leben erweckt werden.

„Viel-zu-viel und alles-zugleich“ (Marie Glassl)

Was macht die Arbeit von Constanza Macras so anders? Diese Frage will die Publikation auf die unterschiedlichsten Weisen beantworten: Zum einen durch die Beiträge der allesamt langjährigen Kritiker*innen und oder Begleiter*innen von Macras und Dorky Park. Sie versuchen das Phänomen zu greifen, das zum einen darin besteht, dass das inhomogene Ensemble aus Tänzer*innen, Darsteller*innen, Profis und Laien besteht und zum größten Teil produktionsabhängig zusammengewürfelt wird. Ein Chaos, aus dem etwas Einzigartiges auf der Bühne entsteht. Zum anderen, dass Constanza Macras es immer wieder geschafft hat, beim Setzen von Themen ihrer Zeit voraus zu sein. Themen wie Gentrifizierung („Der Palast“), Identität und Exil („Scratch Neukölln“), Konsum und Popkultur („Big in Bombay“), Geschlechterrollen („No Wonder“) oder die Realität von Jugendlichen in Großstädten („Hell on Earth“) wurden von ihr schon früh aufgegriffen.

Sehr anschaulich wird der Blick in die Werkstatt dort, wo noch einmal auf einzelne Produktionen eingegangen wird. Und das nicht nur mit Szenenfotos, sondern auch Textpassagen. Über 30 Stücke von Dorky Park bieten ein Déjà vue für alle Eingeweihten und ein Grund zum Seufzen für alle, die es verpasst haben: Da ist die Senioren-Tanzgruppe aus Ost Berlin, die Macras für ihr Stück „MIR I“ engagiert, ein anderes Mal sind es Kinder- und Jugendliche aus Neukölln für „Scratch Neukölln“ und auf der Party danach kochen die Eltern der Kinder und tanzen die Senioren und Seniorinnen. Dass Constanza Macras danach eine Solidaritätsveranstaltung für eine von Abschiebung bedrohte Neuköllner Familie organisierte, passt ins Bild der über den künstlerischen Prozess hinaus gesellschaftlich Engagierten. Und auch das macht Constanza Macras zur Idealbesetzung für die Berliner Szene.                                                                                    

„Die frühere Queen of Trash“                                                                                                                                                                                   

Irgendwann, und auch das zeigt dieses als Chronologie zu lesende Buch, ist auch Constanza Macras dann in der etablierten Tanzszene angekommen – spätestens seit 2019, seit der festen Zusammenarbeit mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Aber auch Auszeichnungen wie „Der Faust“ gehören dazu bis hin zu Engagements als Choreografin für Filme. 

„Memory is fragile“ – gegen das Vergessen hat Constanza Macras diese Publikation entwickelt. Nicht wissend, dass es zu einem Zeitpunkt publiziert werden wird, zu dem sie auf dem Sprung in etwas Neues sein könnte. Hätte sie es gewusst, würde „Good Bye Berlin“ nicht fehlen, ihre vorerst letzte Produktion an der Volksbühne im Oktober dieses Jahres. Der Aufschrei, mit dem die Entscheidung von Neu-Intendant Matthias Lilienthal in der Hauptstadt aufgenommen wurde, sie nicht mehr als Hauschoreografin zu beschäftigen, schien theatralisch überspitzt, ist es doch ein ganz gewöhnlicher Vorgang bei einem Intendantenwechsel. Und so ganz hart fällt Constanza Macras ja auch nicht mehr, denn sie hält mit ihrem Ensemble seit einigen Jahren einen Haushaltstitel aus dem Berliner Kulturetat. In Gesprächen mit dem Senat ist man jedenfalls, heißt es. Aber wer weiß, was diese neue Situation noch einmal bei Constanza Macras auslösen könnte.

Ein Blick in ihr Buch würde ihr verraten, dass gerade die Verweigerung sich irgendwo länger zu binden, ihre größte Stärke ist. Und vielleicht heißt es dann ja noch einmal: „Sie brauchte keinen festen Spielort. Eher brauchte ihr Publikum das Navi oder einen Stadtplan, um ihr auf den Fersen zu bleiben“ (Arnd Wesemann). Willkommen zurück – oder, wie es in Costanza Macras legendärem Stück heißt, „Back to the Present“. 

„Memory is Fragile“ - Constanza Macras/ Dorky Park (Hrsg.), Verlag Henschel, Preis: 30 €, Memory is fragile – Constanza Macras | Dorky Park - Verlagsgruppe Seemann Henschel

Kommentare


Liebe Martina, 

Sie scheinen mit Ihrem Artikel Kulturpolitik betreiben zu wollen. Sie unterstützen Matthias Lilienthal bei einer Entscheidung, die vom Haus selbst abgelehnt wird und kulturpolitisch gesehen eine Katastrophe ist. Aber gut, das ist deine Meinung. 
Aber wir brauchen an dieser Stelle einen festen Standort, und deine gegenteilige Meinung hat nichts mit unseren Bedürfnissen zu tun. Oder mit dem, was für die Zukunft meiner Arbeit und des Unternehmens entscheidend ist.  Und dafür dass die Tänzer ihre Arbeitsplätze behalten können ...


Liebe Constanza Macras,

danke für das Feedback. 

Ich bin ganz bei Ihnen, dass das Ensemble um erfolgreich zu arbeiten eine feste Struktur braucht wie Proberäume und einen Bühnenort. Und ich wünsche Ihnen, dass es da absehbar eine Lösung für Sie gibt. Dennoch, und das ist nun mal Realität, kommt es bei Intendantenwechseln eben zu solchen Entscheidungen und immer ist die Bestürzung bei den Betroffenen groß und die Aufregung darüber in den Medien auch – so dass sie auch schon mal „theatralisch überspitzt“ erscheinen kann. Und beides ist selbstverständlich legitim. Die Anspielung auf Ihre Anfänge als reisende Truppe in Berlin sollte eher erinnern an die Stärke und Kreativität, die Sie damals entwickelt haben und die Hoffnung machen, dass Sie diese Herausforderung heute genauso meistern werden. Dazu wünsche ich Ihnen jeglichen Erfolg!

 

Martina Klein