„Les Corps Avalés“ von Cie. Virginie Brunelle

Blaue Flecken auf der Seele

Cie. Virginie Brunelle feiert mit „Les Corps Avalés“ in Stuttgart Europapremiere

Sie tun sich gegenseitig weh, obwohl sie sich nacheinander sehnen. Die raue Formensprache grenzt hier fast schon an Gewalt und zeigt, dass wir so nicht zueinander finden können.

Stuttgart, 13/07/2025

Eine Geige ist es, die im Wortsinn den Ton angibt. Lebendig, immer wieder und immer weiter vorwärtstreibend, putschen ihre Klänge die Dramaturgie hoch und wieder runter und wieder hoch. Virginie Brunelle lässt die „verschluckten Körper“ (so der Titel auf Deutsch) ihrer Tänzer*innen immer wieder gewaltsam aufeinanderprallen, immer wieder kommt es dadurch zu unvermittelten körperlichen Reaktionen, die sich in der Stimme den Weg nach außen suchen. Ein Bellen, ein Husten, ein Ausbruch. 

Ein bisschen mag man an die auffällige Körperlichkeit à la Wim Vandekeybus denken, vergleichbar rau ist Brunelles Sprache. Dabei setzt Brunelle aber nicht auf augenfällige Kreativität, sondern zeigt die Emotionen als Stellvertreter eines inneren Drucks. 

Grob, teils aggressiv, dabei immer aufgeladen mit all diesen Emotionen, mit Einsamkeit, Verletzbarkeit. Es ist ein Suchen der sieben Tänzer*innen, ein Suchen nach Verbindung zueinander, die nicht gelingen will. Immer wieder flieht jemand aus der versuchten Umarmung. Nur, um es selbst mit der oder dem Nächsten zu versuchen. Um den eigenen Schmerz zu vermeiden, tun wir anderen weh. 

Die Tänzer*innen bringen gemäß dem rauen Ansatz auch keine Geschmeidigkeit mit. Es sind keine klassisch ausgebildeten Tänzer*innen. Es sind hier eher Hüllen, die randvoll mit Energie und Emotionen sind, hilflos allen Regungen ausgeliefert.

Hoffnung gibt es immer

Auf grünem Kunstrasen liegen sie herum, gestapelt, wie tot, kaum sichtbar, grotesk verdreht. Als wäre alles vorbei. Ein Ende hat das aber nicht, kann es nicht haben. Dramaturgisch holt „Les Corps Avalés“ immer wieder von neuem Anlauf, immer wieder versuchen die Tänzer*innen sehnsuchtsvoll, gesehen und gehört zu werden. Eine Tänzerin steht zentral, mit Blick ins Publikum, hebt an, wie zu einem Monolog. Hinter ihr blockieren die restlichen Tänzer*innen mit den einzelnen Matten des Kunstrasens den Raum und die Möglichkeiten. Nichts gelingt.

Und trotzdem immer wieder Hoffnung, werfen die Tänzer*innen schwungvoll helle Partikel auf die Bühne, als brächten sie die Saat aus, die aufgehen und Neues, Gutes bringen möge. Darauf gelingt zwar ein kurzes, intensives Duo voller Nähe, die auch zugelassen werden kann, aber die erneute Vereinzelung lässt nicht lange auf sich warten. Nichts bleibt. Dadurch gerät auch die Dramaturgie leicht brüchig, indem sie beständig die Richtung wechselt.

Alle sind Getriebene, ohne Fortkommen. Die Kälte, gegen die sie ankämpfen, verursachen sie selbst immer wieder. Deshalb zeigen sie schließlich die gleiche Sequenz wie zu Beginn, fast identisch, nur sie selbst scheinen es nicht zu bemerken. Kein Innehalten, keine Reflexion, nur das Wissen um Verletzung. Am Ende, wenn eine Explosion nur Tod und Zerstörung hinterlässt, war es nicht die erste Explosion. Also wird es nicht die letzte bleiben. Irgendwo macht immer irgendjemand so weiter.

 

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