„Bedroom Folk“ von Sharon Eyal

„Bedroom Folk“ von Sharon Eyal

Viele Farben hat der Tanz

Eindrücke vom internationalen Festival Colours am Stuttgarter Theaterhaus

Stuttgart tanzt. Das künstlerische Leitungsteam lässt gemäß dem Motto des Festivals unterschiedlichste Farben des Tanzes aufeinandertreffen: mit großem Erfolg.

Stuttgart, 13/07/2022

Es kann sich sehen lassen, was Eric Gauthier nun ein Jahr später als geplant zu präsentieren hat. Und die Lust, dies zu sehen, zu erleben, was da an 22 Tagen, mitunter auf vier Bühnen an einem Abend geboten wird, ist auch beim Stuttgarter Publikum und angereisten Gästen da. Noch sind nicht immer alle Säle ausverkauft, aber es stimmt schon zuversichtlich, wenn etwa in der Sporthalle oder im Saal T 1 mit 1000 Plätzen an manchen Abenden kein Platz frei bleibt.

Die Kompanien kommen aus zehn Ländern, wie im Tanz gar nicht anders möglich, sie sind international besetzt, so treffen ganz im Sinne des Mottos hier die Farben der Welt zusammen. Das macht Laune, die Stimmung ist gut, vor allem auch, wenn es Eric Gauthier mit seinem so kommunikativen wie charmant und humorvollem Temperament gelingt, Menschen auf Straßen und Plätzen der Stadt zum Tanzen zu bringen.

Der israelische Choreograf Shahar Binyamini konnte erneut gewonnen werden für ein Jugendprojekt, bei dem im Rahmen einer intensiven Probenwoche ein in fünf Aufführungen erfolgreich präsentiertes Projekt entstanden ist. Der Choreograf liebt die Arbeit mit den Nicht-Profis, das kommt auch aus den vielfältigen Traditionen des Tanzes seiner Heimat, nicht zuletzt aus seiner Verbindung zur Batsheva Dance Company und ihres Gründers und künstlerischen Leiters Ohad Naharin.

Naharin kennt keine Grenzen. Er mischt die Stile wie der Maler die Farben auf der Palette. „Gaga“ nennt er seine Formen der freien Bewegung gegen alle Normen. So typisch wie grandios ist seine Arbeit „Kamuyot“, 2003 mit dem jungen Ensemble der Batsheva Dance Company entwickelt und - wie man aktuell erleben kann - auch in gut 20 Jahren kein bisschen gealtert. Ja klar, zudem auch wie geschaffen für die Tänzer*innen der Gauthier Dance Company am Theaterhaus in Stuttgart. In der Sporthalle des Theaterhauses kommt bei insgesamt dreizehn Aufführungen diese so heitere wie mitreißende Collage mit Elementen der Klassik, des Klezmer oder des Heavy Metal gut an. Mittanzen, kein Problem, wenn der Geist der Freiheit so heiter kraft des Tanzes weht, dann verschließt sich niemand den freundlichen Einladungen, mal mit in die Runde zu kommen. Scheint ja sowieso ein Wunsch zu sein, der bei vielen Menschen schlummert und nur auf die geeignete Erweckung wartet. Ein toller Beginn für die unterschiedlichen Eindrücke an einem Wochenende, mitten im Verlauf des Festivals.

Erstmals in Deutschland die Andonis Fonidakis Dance Company aus Griechenland mit „Salema Revisited“: Zehn Tänzer*innen, dazu Livemusik, fünf Musiker. Unverkennbar die Traditionen, in der Musik und im Tanz, der Folklore. Was so in Deutschland kaum möglich scheint wirkt hier wie selbstverständlich. Vor allem natürlich dann, wenn sich aus den Traditionen in gekonnten Ab- und Umwandlungen ganz neue Formen der tänzerischen Kommunikation entwickeln. Ja, auch das Mystische klingt an, ganz gemäß der Traditionen, jetzt im Dialog mit dem diverseren Blick der Moderne, ein Tanz um die Selbstbestimmungen der hier tanzenden Persönlichkeiten. Da sind die Kombinationen ganz unterschiedlich, typische Abfolge, wenn nach Versuchen männlicher und weiblicher Gemeinschaft die Männer erst mal in den Ritualen ihrer Gruppendynamik sich selber finden müssen, um sich dann in Dualitäten oder Diversitäten bewegen zu können. Tanzen hilft, Singen auch.

Sie waren ganz schnell ausverkauft, die beiden Abende des Nederlands Dans Theater mit einem dreiteiligen Abend. Da stehen natürlich auch die Namen der Choreografen für den Andrang: Forsythe, Goecke und Eyal. Letztere wird auch mit der eigenen Kompanie zu Gast sein. Hier begeistert das Duo Sharon Eyal & Gai Behar mit „Bedroom Folk“, uraufgeführt 2015 beim Nederlands Dance Theater, jetzt so frisch, als wär‘s von gestern. Ja es darf gelacht werden, es kann nämlich ganz schön witzig sein, wenn die absolute Strenge der Symmetrien immer wieder durch den Witz der Individualität und den Hang zur Unangepasstheit durchbrochen wird. Tanzen gegen den Tanz, klingt widersinnig, aber darin scheint der Sinn zu liegen bei dieser Kreation zur Musik von Ori Lichtik.

Marco Goeckes Stück „I love you, ghosts“ ist neueren Datums, wurde vor einem knappen halben Jahr uraufgeführt. Ja, natürlich erkennt man die typischen Bewegungen Goeckes, diese hoch- und herausgerissenen Arme, als gelte es, einer Explosion ungeordneter Kräfte im tiefsten Innern des Herzens zuvorzukommen. Nur dass jetzt sich auch die Stimmen Bahn brechen, schmerzende Schreie im Dialog mit dem Tanz. Was ist da das Dunkle, das Unbekannte, wer oder was sind die Geister, die man liebt und von denen man sich doch lossagen muss? Und dann wird es sehr zärtlich auf dieser Suche nach sich selbst zum berührenden Song von Harry Belafonte, „Try to remember”.

Zum Finale ein Reißer von William Forsythe aus dem Jahre 2000, beim Frankfurter Ballett, „One Flat Thing, reproduced“: Tanz kennt keine Hindernisse, jedenfalls nicht für Tänzer*innen, selbst wenn wie hier die Bühne ihnen kaum Platz bietet, denn sie ist vollgestellt mit 20 sperrigen und schwer zu bewegenden Tischen, als gelte es hier einen Handwerksbetrieb einzurichten. Mit aller Kraft gegen alle Hindernisse geht es über die Tische, unter ihnen hindurch, man zwängt sich zwischen die Lücken, steigt auf sie in die Höhe, um gleich darauf doch wieder auf den Boden zu kommen. Die Kanten der Tische sind scharf, der Tanz ist verletzbar, sich dem auszusetzen ist menschlich. So steigern sich die Lebens- und Überlebenstänzer*innen in diesem Widerstand gegen alle Hindernisse und werden mit tosendem Applaus und stehenden Ovationen vom begeisterten Festivalpublikum gefeiert.

In „Anti-Body“ mit der Alexander Whitley Dance Company aus Großbritannien verschwinden die ohnehin kaum optisch wahrnehmbaren Tänzer*innen in der digitalen Performance. Alles verschmilzt, Individualität ist nicht mehr gefragt in dieser kalten Lichtshow, deren Perfektion zu bewundern ist. Es sei eine Ansage zur Zeit, und dies im Hinblick auf den Tanz, so in einer Rezension, „Die Verbindung aus Technologie und Tänzern kreiert eine neue Dimension, eine schimmernde Licht- und Schattenwelt, wo nichts so ist, wie es scheint.“ Das klingt geheimnisvoller, als sich dann die Performance präsentiert. Geheimnisvoll scheint es weniger, denn mit technischer Genauigkeit total konstruiert. Die immer wieder beschworene Einzigartigkeit des Menschen soll widerlegt werden, der Tanz verschwimmt bis zur Unkenntlichkeit in Lichtinstallationen, das soll eigentlich unheimlich sein, ist aber doch eher von konstruierter Durchsichtigkeit. Hier schließt sich zwar kein Vorhang, aber wenn das Licht aus ist, dann bleiben viele Fragen offen. Für die einen Grund zum Jubel, für andere rasch zu gehen. So ist das, wenn so unterschiedliche Farben des Tanzes, bzw. hier tänzerischer Assoziationen, aufeinandertreffen. Das steht aber letztlich für den Mut der Festivalleitung, und das ist gut so.     
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern