Einer für Alle
Stuttgart feiert mit „Celebration“ 5 Jahre Gauthier Dance im Theaterhaus
„Und bitte, weitere 15 Jahre und mehr…“, so Werner Schretzmeier, Leiter des Theaterhauses und höchst engagierter Begleiter dieser in ihrer Art einmaligen Kompanie, deren tänzerische Kompetenz er ebenso betont wie die der Kommunikation, mit welcher sie Zugang für alle Menschen zu schaffen. Das habe natürlich einen Namen, Eric Gauthier, und der Jubel bricht los im ausverkauften großen Saal des Theaterhauses. Schretzmeier betont nicht nur die Bedeutung dieser Kompanie für das Theaterhaus, auch für Stuttgart, die Stadt des „Ballettwunders aus Deutschland“, für die es nunmehr seit 15 Jahren eine weitere Adresse für den Tanz gibt, und dies in so vielen und hier auch höchst speziellen Facetten dieser Kunst, dass von Konkurrenz dieser Art von Kooperation keine Rede sein kann. Haus und Kompanie ergänzen sich künstlerisch, kreativ und vor allem kommunikativ. Inzwischen strahlt die Kraft dieser Kompanie weit über die Grenzen der Stadt hinaus und am Fortbestand dürfte kein Zweifel bestehen, wird doch hier unter höchstem Segen getanzt nach der Generalaudienz von Gauthier Dance beim Papst in Rom in diesem Jahr.
Vertreter des Landes und der Stadt schließen sich an, betonen ihr begeistertes „O.K.“ für die Fortführung dieses „Spitzentanzes mit Herzblut“. An ihren Taten wird man es messen, nicht zuletzt an den Finanzen.
Und darauf spielt natürlich auch Eric Gauthier mit dem ihm eigenen Charme seines hintersinnigen Witzes an, wenn er daran erinnert, dass man vor 15 Jahren ganz und gar nicht davon überzeugt war, dass für die Stadt des Ballettwunders nun eine zweite Kompanie nötig sei. Er sah es anders. Heute sieht er das nicht allein so, daher sagt er „15 Years Alive“, und sein Dank gilt allen, die dies möglich machten und machen, auf der Bühne, dahinter, an den Schreibtischen, mit neu zu gestaltenden Formen der Kommunikation, um eben neue Formen der Zugänglichkeit zu schaffen. Gauthier Dance mit seinem Charme der zwar witzigen, nie aber unangemessenen Kommunikation geht zu den Menschen an Krankenbetten, in Pflegeeinrichtungen, in die Schulen, auf die Straßen und Plätze und natürlich übertragen sich dann im Nu jene nicht wiederholbaren Erfahrungen von Grenzüberwindungen.
Und so ist der Jubel im Stuttgarter Theaterhaus enorm, er wird sich steigern mit den sechs Choreografien von Mauro Bigonzetti, Eric Gauthier, Allejandro Cerrudo, Dunja Jocic, Itzik Galili und Ohad Naharin. Dazu ein Höhepunkt und grandioses Geburtstagsgeschenk, der Film „Return“ von Hofesh Shechter. Dieser Film erinnert an die Rituale des Ursprunges der Tanzkunst. Er nimmt Motive des mittelalterlichen Totentanzes auf, wo immer auch ein Narr dabei ist und der auch letztlich bei existenzieller Anerkennung eigener Endlichkeit wieder in den Tanz des Lebens zurückführt. So berührend wie verstörend zeigt Shechter in seinem Film Momente einer Totenwäsche in jener fast zärtlichen Nähe zwischen Tod und Leben, die dann Kraft unerschütterlicher Vitalität jener inneren Bewegtheit in den Tanz führt, der jenen Ort des Sterbens zum Ort des Lebens werden lässt. Damit gelingt Shechter eben genau jener Betrag im besten Sinne des Hermann-Hesse Zitates, dass eben jedem Anfang ein Zauber innewohne.
Zum Anfang des Abends lässt Mauro Bigonzetti zu Musik von Helmut Lachenmann und Franz Schubert, die gegensätzlicher nicht sein könnte, die verflochtenen Körper zweier Tänzer in tänzerischer Kommunikation mit synchronen Varianten zweier Tänzerinnen zu sich selbst finden.
„ABC“ von Eric Gauthier und dem Tänzer Shori Yamamoto nimmt uns mit auf einen herzerfrischenden Perforcetanz anhand des Alphabetes des Balletts: Für jeden Buchstaben findet sich die bewegte Form. Begriffe der Techniken des Balletts, die Sprünge, Drehungen oder einfach der Witz, wenn zum Buchstaben „P“ - in bester Erinnerung - Pina Bausch zur Zigarette greift nachdem der Ballerino sich auf atemberaubende Höhenflüge begeben hatte oder mit nur einer Geste Nijinskys einstige Skandalbewegung des Fauns lebendig werden lässt.
Nackt zu den Songs von Dean Martin tanzen lässt Alejandro Cerrudo drei Männer in „PacoPepePluto“. Eric Gauthier erzählt dazu, dass der Choreograf gegenüber von seiner Wohnung in der Küche einen nackten Mann tanzen sah zu Songs von Dean Martin. Was für eine Inspiration!
Mit „Ayda“ von Dunja Jocic stellen sich die ersten vier Tänzer*innen, der neu begründeten Junior-Kompanie vor, sechs sollen es werden, so wie zu Beginn damals bei „Six Pack“ vor 15 Jahren, mit denen diese Erfolgsgeschichte begann. Jetzt in der Kreation für die Junior-Kompanie im Hell und Dunkel faszinierender Lichtstimmungen tänzerische Varianten jener Kunst zur Höhe, zur Tiefe, mitunter auch mystisch anmutend, eben aber doch von jener Kunst, die das Herz erreicht.
Es wird eher herzhaft, wenn Itzik Galili zur Musik von Tom Waits aufs Sofa einlädt: Er und sie, er und er, wer trifft wen und wie trifft es sich, wenn wer wen für sie oder für ihn hält. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, schon gar nicht, wenn sie die Horizonte öffnet, für das flotte Trio, wenn hinterm Sofa die Post so richtig abgeht.
Und sie geht ab im Finale mit „Minus 16“ von Ohad Naharin, jetzt mit der ganzen Kompanie, 16 Tänzer*innen in Hochform. Es beginnt schon in der Pause, die Tänzer*innen machen sich bereit, die Dynamik steigt, bis sich der Vorhang schließt. Wenn er sich öffnet, die Tänzer*innen in schwarzen Anzügen, mit schwarzen Hüten, nicht unterscheidbar, als sei man am Shabbat, dem höchsten Ruhetag, im orthodoxen Viertel von Jerusalem. Aber hier ist keine Ruhe. Hier bricht sich Widerstand Bahn. Es reißt die Tänzer*innen von den Stühlen, einer stürzt immer wieder, das ist von schmerzhafter Wirkung. Und immer wieder reißen sie sich ein weiteres Stück ihrer Kleidung vom Körper, die Stücke fliegen in die Mitte. Diesen Assoziationen kann man sich nicht entziehen, wer in Auschwitz war, zumindest die Fotos kennt, die Kleider die Schuhe. Und dann, genial, Naharins Art Grenzen aufzubrechen, zu durchbrechen, die Tänzer*innen kommen in den Saal, laden ein, mit ihnen zu tanzen, das steckt an, die Stimmung steigt, vergessen ist es nicht, was da zuvor geschehen ist, aber der gemeinsame Tanz eröffnet neue Chancen.
Und Zufall, wie sonst? Marcia Haydée, das „Ballettwunder aus Deutschland“ tanzt im Finale hier inmitten der auf die Bühne gebetenen Frauen aus dem Publikum. Wenn das kein Wink vielleicht doch von ganz oben ist. Ja es stimmt: Stuttgart hat ein weiteres Tanzwunder. Es geht weiter, keine Frage, der Nachwuchs steht auf den Brettern, die an diesem Abend auf jeden Fall, die Welt - nicht nur des Tanzes - bedeuten.
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