Doppelspitze für Ballett am Rhein
Ab Sommer 2024 übernehmen Bridget Breiner als Chefchoreografin und Raphaël Coumes-Marquet als Ballettdirektor gemeinsam die Führung des Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg.
Bridget Breiner und Richard Siegal inszenieren eine „Soirée Ravel“ für das Ballett am Rhein
Von Mareike Lyssy
Alina Bercu nimmt am Piano Platz. Ihr rechter Arm ruht auf der Klavierbank, sie wird ihn nicht brauchen, um das „Konzert für die linke Hand“ zu spielen. Ein Stück, das Ravel 1930 für den im Ersten Weltkrieg verwundeten Pianisten Paul Wittgenstein komponiert hatte. Von Krieg und Verlust aber keine Spur auf der Bühne. In der gleichnamigen Choreografie Bridget Breiners sind die Tänzer starke Linien ohne Abweichung, die Tänzerinnen dagegen mal forderndes, dann wieder hingebungsvolles Fließen in farb- und formreduzierten Kostümen. Darunter Mnemosyne, die griechische Göttin der Erinnerung, und Ares, der Gott des Krieges, so die Idee der Choreografin, die sich auf der Bühne eher als universell lesbare Dreiecksbeziehung denn griechische Mythologie präsentiert.
Walzer mit Kurt Jooss
Die Stoffe Richard Siegals sind politischerer Natur. Das gesellschaftskritisch aufgezogene „La Valse“ wurde von Serge Diaghilev 1920 als „kein Ballett, sondern ein Portrait eines Balletts“ abgelehnt. Das ist die Grundlage für den ironischen Ton, mit dem auch Siegal die Geschichte weitererzählt. Er zitiert Kurt Jooss’ „Der grüne Tisch“. Eben jener Tisch, gerade noch Schauplatz hitziger Debatten skrupelloser Entscheidungsträger, wird sogleich wieder mit Tischtuch und Gedecken für die übersättigte Gesellschaft hergerichtet. Hier zeigt sich die technische Vielseitigkeit der Kompanie. Waren die Körper der Tänzer*innen zuvor klar lesbare Linien, sind sie nun ganz mimetische Ironie zu aufbrausenden Walzermelodien. Scheinbar jedwedem Impuls folgend trippeln sie in einer Schar durch den angedeuteten Ballsaal. Ihre Hände sind dabei angespannte Erwartungshaltung, irgendwo zwischen Gier, die befriedigt werden soll und schadenfreudigem Aneinanderreiben.
Genährt von Ziegen und Schafen
In der Steinzeit geht es weiter, möchte man mit Blick auf den Felsbrocken meinen, der das Bühnenbild nach der ersten Pause bestimmt. Die griechische Mythologie wird dieses Mal von Ravel selbst vorgegeben. 1912 komponierte dieser „Daphnis et Chloé“ als Auftragswerk für die Ballets Russes. 2025 bedient sich Breiner neben Musik und Titel auch an dem titelgebenden Stoff und inszeniert die erwachende Liebe zwischen dem von einer Ziege genährten Daphnis und der von einem Schaf genährten Chloé. Der hüpfend vollzogene Liebesakt zwischen den Huftiergenährten hat etwas ungewollt Parodistisches, im Wesentlichen bleiben die Bewegungen aber auch hier ein Fließen, das von erzählenden Flöten geleitet wird.
Bevor das bekannteste Stück Maurice Ravels aus dem Orchestergraben auf die Bühne und in die Sitzreihen ertönt, sind es noch einmal Klavierklänge, die das Foyer in der zweiten Pause erfüllen und das Solo eines Tänzers begleiten. Sein Körper scheint nach Antworten zu suchen, wie wir, die wir in mehreren Reihen um ihn herumstehen, nach besserer Sicht auf seinen Körper suchen. Einige von uns finden sie in seiner Spiegelung auf dem polierten Korpus des Pianos, an dem die Pianistin – dieses Mal beidhändig – das zarte „Pavane pour une infante défunte“ spielt.
Charlie Chaplin tanzt den „Boléro“
Und dann der „Boléro“, natürlich. Denn wo Maurice Ravel draufsteht, da muss der „Boléro“ drin sein. Wie aber inszeniert man ein Musikstück, das so bekannt, so oft schon inszeniert worden ist? Richard Siegal entschied sich für ein bühnenbreites Laufband und Tänzer*innen in Jackets. Standbildartig versuchen diese im Takt des sich wiederholenden Trommelns voranzukommen, lösen sich aus ihren Posen und formieren sich neu. Plötzlich ist da ein Pulk, der mit erhobenen Fäusten einem Einzelnen hinterhermarschiert. Eine Anspielung auf Charlie Chaplins „Modern Times“, in dem Chaplin aus Versehen zum Anführer einer Arbeiterbewegung wird, hier aber ohne Witz. Menschenmengen, die scheinbar willkürlich einem Einzelnen folgen, sind per se ja auch nicht witzig.
Der 150. Geburtstag Maurice Ravels ist ein nachvollziehbarer Anlass dessen Werken fünf neue Choreografien zu widmen. Aber was wäre alles möglich gewesen, wenn die Chefchoreografin des Balletts am Rhein und der zukünftige Ballettdirektor und Chefchoreograf des Staatstheaters Nürnberg wirklich gemeinsame Sache machten? Hätten die unterschiedlichen Farben der Stücke Ravels sogar Inspiration für eine abendfüllende Choreografie sein können, in der sowohl die Bewegungssprache Breiners als auch die Ideen Siegals Platz gefunden hätten? Beim choreografischen Potential bleibt ein kleines Gefühl nicht genutzter Möglichkeiten und natürlich ein Ohrwurm zurück.
Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.
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