Leitungswechsel
Katharina Christl übernimmt Leitung der Palucca Hochschule Dresden
Dass es ordentlich Sitzfleisch braucht, um sich ganzen 14 Arbeiten in Ruhe zu widmen, das weiß nicht nur die Prüfungskommission der Palucca-Hochschule für Tanz Dresden. Dem Publikum ist das genauso klar. Und das hält niemanden fern. Schon lange vor der Premiere waren alle drei Vorstellungen der Bachelor-Arbeiten ausverkauft. Die Ergebnisse zu sehen, lohnt sich aber nicht nur für die lieben Verwandten. Die geballte Lebendigkeit und die individuellen künstlerischen Ansätze halten auch dem kritischsten Auge stand.
Dabei sind die einzelnen Arbeiten nur ein Teil des Ganzen. Dahinter liegt eine Form der Selbstständigkeit junger Menschen, die in völliger Selbstverständlichkeit und freiwillig im gegenseitigen Austausch miteinander arbeiten. Das Programmheft wird bereits seit einigen Jahren von den Studierenden selbst gestaltet. Ein Ding, das man sich vor 15 Jahren kaum hätte vorstellen können.
Die Fotos für das Programmheft stammen von Kim Schölch, einer Studierenden der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Sie war im vergangenen Jahr bei der alljährlichen Tanzwoche auf Hiddensee dabei. Seitdem haben die Studierenden eine hochschulübergreifende Verbindung aufgebaut, die in erster Linie persönliches Interesse zeigt und nur in Teilen eine offizielle ist. Inzwischen gibt es sogar eine Chatgruppe, in der sich die Studierenden für unterschiedliche Projekte zwischen Bildender und Darstellender Kunst gegenseitig unterstützen. Und das geht noch weiter. Ganze fünf der Bachelor-Arbeiten verwenden Kompositionen des Ungarn Gábor Halász, der als Alumnus (Master in Choreografie) bereits seit Jahren auch in der freien Szene mit seinen so lässigen wie komplexen Sounds mitmischt.
Innere Widersprüche aushalten
Die Bedeutung solcher Verbindungen auf persönlicher also menschlicher Ebene zeigen die Bachelor-Studierenden gleich zu Anfang ihres gemeinsamen Abends eindrücklich. Überraschend schlendern noch vor der ersten Arbeit alle Beteiligten ganz entspannt auf die Bühne, lächeln sich gegenseitig zu und umarmten einander. So unerwartet dieser Prolog, so berührend ist diese Szene: I see you, I feel you. Im Miteinander findet sich die Möglichkeit einer Stütze.
Und die braucht jeder Mensch, egal, in welchem Alter, egal, wie die gesellschaftlichen Umstände sich gerade gestalten. Das wird unmittelbar sichtbar in den einzelnen Arbeiten, die, ganz dem Titel „(W)Hole“ gemäß, immer wieder ein Spektrum bespielen, das innere Widersprüche sichtbar macht, ohne sie dabei als Problem zu zeichnen. Kein „entweder/oder“, sondern ein „sowohl als auch“.
Was daraus erwächst, ist ohne Zweifel Stärke. Das zeigt schon als Auftakt Catherine Rinehart Beer mit „stilllife“, in dem sich das Publikum dank Kamera auf einer Projektion selbst sieht und sich beim Zuschauen Beobachten kann. Das wirft Fragen nach Wirkung, Spiegelung und Verbindung auf. Der Wechsel aus mechanisch-zittrigen, entseelten Bewegungsfolgen und einem entfesselten Loslassen umarmt alle Facetten des Ichs. Das mündet in ein fröhliches Hopscotch durch die am Boden liegenden Kabel des Projektors. Diesen Zustand zu erreichen, das gelassene Sein, dafür braucht es Arbeit. Um diesen Prozess geht es an diesem Abend immer wieder.
Identität als nicht abgeschlossener Prozess
Da zeigt das Duo „Lines we Cross“ von Anna Krasnikova (mit Šimon Mikulásek) die menschliche Seite hinter der im Ideal makellosen Knochenarbeit des klassischen Ballettvokabulars. Mit „The Weight of Emptiness“ schafft Antonio Ferrante mit Martin Cohen eine Intimität, die fast vergessen macht, dass die beiden tanzen, so intensiv scheint das Miteinander. Mit leicht absurdem Ansatz arbeiten sich wie fremdgesteuert und unkontrollierbar Til Schuffenhauer und Patrick Short durch dessen „Yes No Maybe¿?“, und Niko Adachi assoziiert mit nur einem einzelnen Piep-Ton die Komplexität einer Krankenhaus-Atmosphäre. Ihr „Whose“ assoziiert mit einem einzelnen roten Handschuh den menschlichen Organismus, gespiegelt durch einen zweiten, den Serena Hidaka als eine Art alter ego trägt. Das Konzept wirkt derart abstrahierend, dass man nicht damit rechnet, sie würden auf Spitze tanzen. Die Musik der japanischen Singer-Songwriterin Ringo Sheena sorgt dafür, dass en pointe nicht mal ansatzweise angestaubt wirken könnte.
Wie eine Naturgewalt kapert Liam Meier die Bühne und tanzt schon allein mit seiner Mimik alle anderen an die Wand. Seine ganz persönliche Reise durch die eigene Identität ist mit dem Titel „Any (ID)ea“ auf den Punkt gebracht. In einem Wechselbad zwischen frech und selbstbewusst durchläuft er einen komplexen Monolog, der die Sprache in den Vordergrund stellt. „Identity never settles, never takes a break“, heißt es da. Und: „the unfinished product is me“. Das macht eins unmissverständlich deutlich: Aus allen Widersprüchen, Zweifeln und Unsicherheiten bildet sich Zuversicht. Was will man mehr?
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Bitte anmelden um Kommentare zu schreiben