Bühnenkämpfe, Straßenkämpfe
Antonio Ruz und Anne Nguyen bei der Tanzbiennale Heidelberg
„Simple“ von Ayelen Parolin und „Lossy“ von der Company 605 bei der Heidelberger Tanzbiennale
Nein, so „Simple“ wie der Name suggeriert, ist das Stück der in Brüssel beheimateten, argentinisch-belgischen Choreografin Ayelen Parolin keineswegs. Mit Bühnenbild und Kostümen erweist sie einem berühmten Vorbild Reverenz: „Summerspace“ von Merce Cunningham. Für dieses Stück ließ er sich zum ersten Mal von Robert Rauschenberg ein bunt-fröhliches Bühnenbild malen, dessen Farbmuster auch für Kostüme Pate standen. In „Simple“ hat Ayelen Parolin dieses ästhetische Konzept scheinbar etwas vereinfacht, die Farbgebung leicht verschoben und psychedelisch anmutende Farbflecken auf den Ganzkörper-Leotards vergrößert. Vor allem aber schickt die Choreografin (nur) ein tänzerisches Trio auf die leere Bühne.
Die Drei aber haben es in sich, sind ausgefuchste Selbstdarsteller und spielen virtuos mit der Idee, dass sie auf dem Tanzteppich einfach irgendetwas machen sollen, das dem Publikum gefällt – ganz ohne hilfreiche Musik. So probieren sie aus, was sie können: klassisches Ballett, moderner Tanz, artistische Kunststückchen, kraftraubende Wiederholungen und schnelle Brüche, bekannte Posen und Sprünge oder gewagte Bewegungserfindungen. Scheinbar alleingelassen von der Choreografin, müssen zwei Tänzer und eine Tänzerin ausprobieren, was sie können und was beim Publikum ankommt. Dabei kann man jede Unsicherheit an Gestik und Mimik ablesen, die eigene Unsicherheit wie das gegenseitige Beobachten, Ablehnen, Nachahmen, Kooperieren, Übertrumpfen – bis sie sich die Drei am Ende in einem absurden gemeinsamen Schlagzeug-Spiel zusammenfinden. Das gewitzte, temporeiche Spiel kam beim Publikum bestens an.
Flucht in die Zukunft
Der Blick in die Zukunft der kanadischen „Company 605“ ist dagegen fahl bis düster. Lange vor Vorstellungsbeginn von „Lossy“ (Verlustbehaftet) wurde die Hebelhalle bis in den letzten Winkel mit Bühnennebel geflutet – fahle Sicht und schwerer Dunst für alle. In einer von allgegenwärtigem Plastik definierten, unheimlichen Zukunfts-Welt treffen sieben Schiffbrüchige zusammen, akustisch in Trance versetzt durch die Soundkulisse ihres Hauskomponisten Matthew Tomkinson. Die unterschiedlichen Protagonisten reagieren ganz individuell auf eine vage bleibende, dennoch präsente allgegenwärtige Bedrohung: Sie müssen fliehen. In einem ersten starken Bild wird der Wohnzimmer-Teppich zum Rettungsfloß, das die Tänzerinnen und Tänzer nur mit dem Körper antreiben.
Was kann man in die düstere Zukunft retten, was muss man loslassen? Besitztümer, Menschlichkeit, ein Kind? In „Lossy“ geht viel verloren, bevor das tröstliche Bild eines gefährdeten Kollektivs entsteht, das dennoch jedem Einzelnen Raum gibt. Ein Lichtkreuz lässt dabei an ein belebtes Altarbild denken. Die starke choreografische Handschrift der Companie-Gründer Duo Lisa Mariko Gelley und Josh Martin in der theatralischen Umsetzung gesellschaftskritischer Ideen erklärt den internationalen Erfolg der in Vancouver beheimateten, multidisziplinär arbeitenden Company 605.
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