Tanzlust

Patricia Carolin Mai zelebriert in „Rausch“ mit 100 Hamburger*innen auf Kampnagel die Kraft des gemeinsamen Tanzes

Laientänzer*innen und Tanzbegeisterte aller Generationen hat Patricia Carolin Mai zusammengetrommelt, um gemeinsam verschiedene Formen und Ausmaße von Rausch zu untersuchen.

Hamburg, 27/06/2023

In der großen Halle K6 auf Kampnagel sitzen die Darsteller*innen bereits auf der Bühne oder in den Zuschauerrängen verteilt und begrüßen das in Scharen einströmende Sommer-Publikum. Über 900 Plätze füllt das Tanz- und Musikstück „Rausch” am vierten Tag in Folge. Ein vielfältiges Publikum, darunter zahlreiche Familienmitglieder und Freund*innen der Darsteller*innen, suchen in freudiger Erwartung ihre Plätze, winken und fotografieren aufgeregt in Richtung Bühne.

Weniger aufgeregt beginnt das Stück. Die Tänzer*innen sitzen auf dem Boden und blicken ins Publikum. Hin und wieder erheben sie sich, um einen neuen Platz einzunehmen. Zwischen ihnen entsteht leises Flüstern und fröhliches Kichern, bevor sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf den Zuschauerraum lenken. Ein schöner, choreografischer Moment, den Patricia Carolin Mai hier geschaffen hat: zwei Massen - Publikum und Darsteller*innen - sitzen sich gegenüber und gucken sich gegenseitig an. Die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne verschwimmt und der Raum öffnet sich in beide Richtungen - diese physische Präsenz der anderen hält den ganzen Abend über die Spannung.

Selten sieht man so viele Laien auf der Bühne. Patricia Carolin Mai, die sich dieser choreografischen Herausforderung mutig angenommen hat, hat einen Tanzabend kreiert, der das Publikum über 70 Minuten lang in immersive, von Schwarmintelligenz geprägte Bewegungslandschaften mitnimmt. Manche assoziieren sich mit modernem Großstadt-Gewusel und Clubkultur, andere erinnern an höfische Barock- oder Renaissance-Tänze und dann auf einmal Folklore zu Elvis Presley.

Die Choreografie lebt von tausenden Möglichkeiten hundert Tänzer*innen auszurichten, gegenüberzustellen und räumliche Bezüge und Beziehungen herzustellen. Der Blick wechselt ständig zwischen Soli, Duetten, Trios und vielen unübersichtlichen und unterschiedlich großen Gruppen, die sich immer wieder neu finden, anders konstellieren, eine gemeinsame Bewegungssprache finden und zusammen tanzen. Es überwiegen Tippelschritte, Walzer, Federn, Schwingen, Hopser, geballte Fäuste im Galopp - der Raum pulsiert, bebt, reißt mit.

Großen Anteil daran hat die kunstvolle Musik von Maike Hautz und Gabriel Wörfel, die mit auf der Bühne stehen und hinterm Pult im Takt wippen. Eine Mischung aus hypnotisierenden Beats und atmosphärischen Melodien entführt das Publikum in eine andere Dimension. Elektronische, kaleidoskopische, folkloristische Beats, aber auch Techno und barocke Bratsche füttern die Choreografie mit durchdringenden Klängen und befeuern die Bewegungen auf der Bühne. Musikalische Vergangenheit verschmilzt dabei geschickt mit modernen Einflüssen und erzeugt so eine reizvolle Spannung zwischen Tradition und Innovation.

Immer wieder werden die immersiven, fast hypnotischen Bilder und musikalischen Landschaften durch starke Stil- oder Lichtwechsel gebrochen. Dabei sabotiert sich das Stück selbst, denn nicht nur das Publikum, sondern vor allem auch die Tänzer*innen werden immer wieder aus ihrem Trip und den tranceartigen Zuständen herausgerissen. Nur ganz selten kratzt der Tanz dabei am ekstatischen Zustand. Der Reiz des Rausches, sich selbst zu vergessen, aufzulösen, zu entgrenzen, wird in diesem Stück nicht wirklich transportiert. Vielmehr steht die Selbsterfahrung der Tänzer*innen und die Kraft des Kollektivs im Vordergrund. Die Lust, die Freude und der Genuss am gemeinsamen Tanz werden dabei auf jeden Fall bis in die letzte Ecke des Raumes spürbar.

Ersichtlich berauschte Stimmung erst beim Applaus. Standing Ovations, wenn die 100 Tänzer*innen dem Publikum entgegen stürmen, singen und euphorisch immer weiter tanzen. Noch eine Zugabe. Noch ein gigantischer Applaus. Geht doch! Nach der Aufführung auf dem Vorplatz von Kampnagel fallen 100 Tänzer*innen Patricia Carolin Mai zum Dank für ihre außergewöhnliche künstlerische Leitung in die Arme. Weiter geht’s in Leipzig, wo am 20.10.23 wieder hundert Tanzbegeisterte auf die Bühne dürfen.

Bewerbung noch möglich: https://www.patricia-carolin-mai.de/projects/rausch-open-call-lofft-das-theater-leipzig

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