„Rossini Cards“ von Mauro Bigonzetti

„Rossini Cards“ von Mauro Bigonzetti

Kulinarik in tänzerischen Bildern

Zum Abschluss der 15. Oldenburger Tanztage

Burkhard Nemitz und Antoine Jully haben in Oldenburg etwas aufgebaut, das unbedingt erhalten bleiben sollte: Oldenburg als Adresse für guten, qualitätsvollen Tanz!

Oldenburg, 29/03/2023

Mit insgesamt mehr als 10.000 Zuschauer*innen gingen die 15. Oldenburger Tanztage am vergangenen Sonntag überaus erfolgreich zu Ende. Die elf Kompanien aus acht verschiedenen Ländern lockten mit über 35 Veranstaltungen ins Theater und konnten das Oldenburger Publikum zum Teil zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen! Fast alle Vorstellungen waren ausverkauft. Die Vielseitigkeit des Festivals geht auf den programmatischen Spürsinn von Festivaldirektor Burkhard Nemitz zurück, der die Tanztage zum vierten und letzten Mal geleitet hat und von Intendant Christian Firmbach ganz offiziell verabschiedet wurde. Firmbachs Dank galt nicht nur Nemitz für seine kluge Festivalleitung, sondern auch allen beteiligten Künstler*innen und explizit auch der Technik des Hauses, die in den zehn Tagen Außerordentliches geleistet hat. Ruhezeiten waren kein Thema und es wurde zum Teil bis kurz vor der Vorstellung noch geprobt und an der technischen Umsetzung gefeilt.

Im Einzelnen waren in der zweiten Woche zu erleben: der malaysische Tänzer Mavin Khoo, Trainingsleiter bei der Kompanie von Akram Khan, der in „Man or God“ ein selbstreflexives Duo über seine Liebe zu einem Mann in der Exerzierhalle präsentierte. Das Publikum braucht etwas Zeit, um sich auf die Performance einzulassen, manche Bilder (wie z.B. das Abtauchen der beiden Männer in die Clubszene zu hämmernden Technobeats oder die mit filmischen Mitteln verfremdete physische Vereinigung der beiden Männer) dauern etwas zu lang - wir haben schneller verstanden, als das Team uns das zutraut. Doch entstehen - vor allem in den Solopassagen von Khoo - Bilder von suggestiver Kraft über Furcht, Begierde und Hingabe. Khoo lässt in seinen Tanz auch Elemente des traditionellen indischen Tanzes einfließen, den er an zwei Abenden zuvor im Solo präsentiert hat. Er zieht das Publikum mit seinem intensiven Ausdruck in seinen Bann.

Die Vorstellung „Energetic Emotions“ von Antoine Jully hat eindrucksvoll gezeigt, dass seine Oldenburger BallettCompagnie mühelos mit den internationalen Kolleg*innen mithalten kann, das tänzerische Niveau in einigen Fällen sogar übertrifft. Der Abend bewies einmal mehr das hohe Niveau von Jullys Arbeiten und vor allem aber Eines: dass die Kompanie großen Rückhalt beim Oldenburger Publikum hat!

Kulinarisch ging es beim Ballett Ostrava mit ihrem Programm „Consequence/ Rossini Cards“ zu: nach einer eher abstrakten dreiteiligen Choreografie von Juanjo Arqués zum Thema Natur - Mensch - Technik, von der Kompanie virtuos getanzt, war die Stimmung in „Rossini Cards“ mal nachdenklich, dann fröhlich bis ausgelassen. Der italienische Starchoreograf Mauro Bigonzetti thematisiert in dieser Arbeit Rossinis Passionen: Essen, Lieben, Musik. In einer Art tänzerischem Pasticcio entfaltet sich zur Musik von Rossini eine Collage, die im Wechsel berühren und amüsieren kann - oder einfach nur schön anzuschauen ist. Der temperamentvolle Tanz zu Rossinis Ouvertüre der Oper „Die diebische Elster“ wurde zum heiteren Ausklang der Tanztage im - bis zu den Stehplätzen ausverkauften - Großen Haus. Das Publikum war restlos begeistert!

Im Kleinen Haus beendete die baskische Compagnie Illicite das Festival mit einem Programm, das die Entwicklung des Tanzes von der präzisen Neoklassik eines Hans van Manen mit seinem „Adagio Hammerklavier“ über die tiefgründige Ausdruckskraft des Modern Dance mit „Deep Song“ von Martha Graham und ein sinnlich-erotisches Duett „Fauno“ in Anlehnung an den Tanz eines Vaclav Nijinsky bis hin zur zeitgenössischen Ballett-Ästhetik von Kompanie-Leiter Fabio Lopez präsentierte. Die Messlatte vor allem bei der Neoklassik hing hoch, denn die von präziser Schlichtheit und plötzlichen hohen technischen Anforderungen geprägte Choreografie van Manens verlangte den Tänzer*innen einiges ab, da war die Anspannung deutlich zu spüren. Dennoch war es eine sehr gelungene Aufführung und sicherlich eine riesige Chance für diese junge Kompanie, sich an die Meisterwerke der Tanzgeschichte heranzuwagen und sich mit ihnen weiterzuentwickeln. Océane Giner tanzte das Solo von Martha Graham mit zurückhaltender Hingabe, innig, kämpferisch, leidvoll: das sind Bilder, die vor dem inneren Auge bestehen bleiben! Alessandra de Maria und David Claisse beeindruckten im sinnlich-begierdevollen Duett „Fauno“ von Vasco Wellenkamp und tanzten voller Intensität und mit hoher Hingabefähigkeit - sie waren diejenigen, die an diesem Abend am allermeisten mitreißen konnten.

Die Oldenburger Tanztage sind genau deshalb so wichtig und interessant, weil man an ihnen die Entwicklung des Tanzes durch die Generationen miterleben kann, die unterschiedlichen Einflüsse und Inspirationen der Choreograf*innen sehen, die Elemente erkennen kann, die den heutigen Tanz ausmachen. Und dies auf einem hohen künstlerischen und tänzerischen Niveau! Burkhard Nemitz und Antoine Jully haben in Oldenburg etwas aufgebaut, das unbedingt erhalten bleiben sollte: Oldenburg als Adresse für guten, qualitätsvollen Tanz!
 

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Mich beeindruckt die Vielfalt und die Bandbreite der beschriebenen Choreografien. Ein wahres Fest des neo-klassischen und zeitgenössischen Tanzes muss dieses Festival gewesen sein. Vielen Dank für die mitreißende Rezension mit klaren Beschreibungen des Bühnengeschehens und einer kenntnisreicher Einordnung.

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