„Der Tod und das Mädchen“ von Antoine Jully. Tanz: Teele Ude und Diego Urdangarin

„Der Tod und das Mädchen“ von Antoine Jully. Tanz: Teele Ude und Diego Urdangarin

„Solarwinde“

Saison-Finale der BallettCompagnie Oldenburg

Eine großartige Ballettpremiere, die einmal mehr gezeigt hat, dass auch kleinere Kompanien in der Lage sind, große künstlerische Leistungen zu vollbringen.

Oldenburg, 30/05/2023

Künstlerische Entwicklung erfolgt zumeist in der Aneignung von Methoden. Die Weitergabe von Ideen und Vorstellungen über Klang oder auch über Tanz zieht sich durch die gesamte Kulturgeschichte. Der Lernende folgt seinem Vorbild, bis er seinen eigenen Stil gefunden hat und sich emanzipiert. Der junge Benjamin Britten erprobte sich an einem Thema seines Kompositionslehrers Frank Bridge und erlangte mit seinen „Frank Bridge Variations“ 24-jährig internationalen Ruhm. Hans van Manen widmet sich dieser Komposition als gereifter Choreograf und erschafft eine Choreografie, die ihrer ganz eigenen Gesetzmäßigkeit folgt. Hans van Manen selbst ist und bleibt ein großes Vorbild für ganze Generationen von Choreografen, die sich von seinem Purismus und von seiner unerbittlichen Klarheit inspirieren lassen.

Antoine Jully, der seinerseits mit Begeisterung die Ballette van Manens als Solist beim Ballett am Rhein getanzt hat, erinnert sich mit Freude an diese prägende tänzerische Erfahrung. Dass er seine BallettCompagnie Oldenburg so weit gebracht hat, dass sie in der Lage ist, ein Ballett von Hans van Manen zu tanzen und dies mit Brillanz und Freude, ist der Verdienst von ihm und seinem Team, das die Compagnie in jahrelanger Aufbauarbeit auf diese künstlerische Höhe gebracht hat. Die BallettCompagnie Oldenburg ist von anfangs neun auf 16 Tänzer*innen angewachsen und sie begeistern das Oldenburger Publikum bei jeder Premiere: über 300 Abozugänge im Tanz sprechen eine deutliche Sprache.

Der Abend beginnt mit einer Wiederaufnahme von Jullys in 2018 entstandener Choreografie zu „Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert. Ein großes stilisiertes Kreuz im Hintergrund symbolisiert den Fluss des Lebens und den finalen Strich, den der Tod jedem Leben am Ende setzt. Davor sitzen die Musiker*innen des Oldenburgischen Staatsorchesters und spielen auf berührende Weise dieses Streichquartett live.

Jully zeigt die Entwicklung eines Mädchens zur reifen Frau und interessiert sich für den eigentlichen Moment des Todes, der in unterschiedlichsten Formen kommen kann. Mehrere Frauen tanzen im wahrsten Sinne um ihr Leben, werden umgarnt, festgehalten, gar gezwungen von ihren männlichen Tanzpartnern, die im übertragenen Sinne den Tod bringen. Dabei entsteht eine so dynamische, sehnsuchtsvolle Choreografie, dass man mit den Frauen sehnt und leidet, wenn sie zitternd dem Unentrinnbaren zu entfliehen suchen. Es ist dieser eine Moment, den der Choreograf groß und fühlbar macht, auf seine besondere, sensible Art. Wenn dann für die Hauptfigur (sehr feinfühlig getanzt von Nicol Omezzolli) der Moment gekommen ist, und der Tod, der sich über die gesamte Dauer des Stückes an der Seite langsam zurecht gemacht und geschminkt hat, sie holt, geht alles sehr schnell… So unvermittelt, wie im echten Leben der Tod manchmal kommt, endet das Stück. Eine bewegende Choreografie.

Im zweiten Teil dann die Suite aus „Der Feuervogel“ von Igor Strawinsky in der Version von 1919. Hier realisiert Antoine Jully eine sehr komprimierte Version des Balletts: er schafft es, die Thematik vom freiheitsliebenden Vogel, der einem Prinzen hilft, eine Gruppe von Prinzessinnen aus den Fängen dunkler Mächte zu befreien in essenziellen Kurzszenen darzustellen. Dabei gelingt ihm mit Eleganz (bei den gefangen gehaltenen Frauen), mit Einfallsreichtum bei den Vogelszenen (sehr eindrucksvoll als Feuervogel: Ryan Drobner) und hoch energetischen Duett- und Gruppenszenen ein reifer Wurf, der einmal mehr den Facettenreichtum seiner choreografischen Fantasie, seine Musikalität und nicht zuletzt die Verve der gesamten Kompanie zeigt, mit der sie sich durch jeden Ballettabend tanzen. Insgesamt wirkt diese Choreografie vielleicht nicht so abstrahiert, wie (laut Programmheft) gewollt und folgt der Geschichte eher auf traditionelle Weise. Das Oldenburgische Staatsorchester musiziert unter der Leitung von Vito Cristofaro eindrucksvoll und klanggewaltig.

Den Höhepunkt des Abends bildet die mit großem Interesse erwartete Einstudierung von Hans van Manens „Frank Bridge Variations“. Pure Faszination entsteht, wenn man dieser Choreografie folgt: klare Linien, Musikalität, tanztechnische Brillanz und auf den Punkt gebrachte Gesten ziehen das Publikum in ihren Bann. Die fünf Paare tanzen sich mit Begeisterung durch die Choreografie – den Tänzer*innen ist die Freude anzuspüren, diese Herausforderung zu meistern. Und sie bewältigen sie mit Bravour: die beiden Solopaare Teele Ude mit Seu Kim und Keiko Oishi mit Fran Kovačić beeindrucken mit einer selten gesehenen darstellerischen Intensität. In den Soli zeigt Seu Kim seine blitzsaubere Technik und Fran Kovačić einen kraftvollen Tanz, der so mit technischen Schwierigkeiten gespickt ist, dass man die Luft anhält! Er beendet es mit der typischen und in dieser Choreografie fast leitmotivisch eingesetzten auffordernden Handgeste, als ob er sagen wolle: „Macht es mir doch nach...“ Das ist schon sehr beeindruckend.

Folgerichtig erhält er dann auch einen der drei Tanzförderpreise, die im Anschluss an die Premiere an ihn, an Nicol Omezzolli und an die Ballettmeisterin Carolina Sorg überreicht werden. Eine großartige Ballettpremiere geht zu Ende, die einmal mehr gezeigt hat, dass auch kleinere Kompanien in der Lage sind, große künstlerische Leistungen zu vollbringen. Oldenburg sollte sich sehr schnell der weiteren Zusammenarbeit mit einem so erfolgreichen Choreografen und Kompanieleiter wie Antoine Jully versichern.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern