„COME OUT“ von Olivier Dubois & BODHI PROJECT

Würdiger Auftakt

Die Sommerszene in Salzburg startet mit „COME OUT“ von Olivier Dubois & BODHI PROJECT

„COME OUT“ ist ein stiller Aufschrei, der an gesellschaftlichen Grenzen rüttelt und sie aufbrechen will. Als Festivaleröffnung mutig gewählt, bleibt die Performance als unangenehmer Gedanke im Kopf hängen und hallt weit nach Ende der Vorstellung nach.

Salzburg, 14/06/2023

Von Eva Emminger

Stellen Sie sich vor, sie wären in einem Käfig eingesperrt. Keine Chance, auszubrechen. Wie würden Sie sich verhalten? Würden Sie es hinnehmen und über sich ergehen lassen, oder würden Sie dagegen ankämpfen?

„COME OUT“ von Olivier Dubois konfrontiert das Publikum mit dieser Situation. Im Rahmen der Sommerszene 2023 unter dem Motto „Come As You Are“ bringen Tänzer*innen der zeitgenössischen Juniortanzkompanie BODHI PROJECTS und der Salzburg Experimental Academy of Dance SEAD Dubois’ Choreografie zu Steve Reichs 1966 komponierter Musik auf die Bühne. Ungewöhnlich, dass ein Festival mit einem Stück eröffnet, dass nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch die Zusehenden mit einem unwohlen Gefühl entlässt.

Zusammengestellt aus Sprachaufnahmen von afroamerikanischen Häftlingen, verweist die klangliche Gestaltung von „COME OUT“ auf die grausame Behandlung, die diese im Gefängnis erfahren haben. Repetitiv erklingt die Phrase „Come out to show them“ und bildet so die rhythmische Grundlage der Choreografie. Nach und nach überlappen sich die Phrasen, schieben sich ineinander und verschwimmen zu einem unangenehmen, dröhnenden Dauergeräusch. Anfangs laut und störend, tritt dieses im Laufe der Vorstellung in den Hintergrund und erweckt einen fast meditativen Zustand, dem man nicht entfliehen kann. Die Aufmerksamkeit richtet sich voll und ganz auf die Performance.

Gekleidet in weißen, hautengen Anzügen bewegt sich der Tanzkorpus synchron und bildet ein großes Ganzes. Jeder Muskel wird in den Leotards sichtbar, die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers offenbart sich dem Publikum. In rosafarbenes Licht getaucht, vermittelt Olivier Dubois‘ Choreografie einen Kontrollverlust, ein Sich-Hingeben in einen Kampf mit sich selbst, und gegen eine außenstehende Macht. Die Tänzer*innen teilen in ihren Bewegungen Schläge aus und stecken sie wieder ein. Sie werden verletzt und verletzen. Genauso wie die monotone Phrase sich bis ins Unkenntliche wiederholt, fügen sich die Tanzenden nach ihren Ausbrüchen wieder in das Kollektiv ein. Trotz der Individualität jeder Person in Aussehen und Bewegung, passen sie sich einander an und beeinflussen sich gegenseitig, den Blick immer auf etwas außerhalb des Bühnenraums gerichtet. Die Grenzen der Tanzfläche überschreiten sie jedoch nie. Die Bewegungen steigern sich ins Extreme, die zunehmende Erschöpfung und Verletzlichkeit des Körpers prophezeit den Ausgang des Stückes: Der Kampf kann nicht gewonnen werden.

„COME OUT“ ist ein stiller Aufschrei, der an gesellschaftlichen Grenzen rüttelt und sie aufbrechen will. Als Festivaleröffnung mutig gewählt, bleibt die Performance als unangenehmer Gedanke im Kopf hängen und hallt weit nach Ende der Vorstellung nach, indem die Zuschauer*innen ihre eigene Rolle im gesellschaftlichen System, die weiße Priviligiertheit deutlich vor Augen geführt bekommen. Das Mittel sind extreme Bewegungen, die dem Körper alles an Kraft abverlangen, was dieser nur aufbringen kann. Die jungen Tänzer*innen aus Salzburg haben diese Herausforderung hervorragend gemeistert und schaffen einen würdigen Auftakt zur Sommerszene 2023.
 

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden der Paris Lodron Universität in Salzburg und der Sommerszene Salzburg unter der Leitung von Nina Hümpel.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern