„Allegro Brillante" von George Balanchine, Tanz: Nathanael André Plantier und Francesca Cesaro (Elevenprogramm)

Sommerliche Punktlandung

Soiree der Palucca Hochschule Dresden

Neue Perspektiven: wie sich die Wahrnehmung verändert, wenn man die Dinge anders macht.

Dresden, 02/07/2022

Im vergangenen Jahr fand die jährliche Soiree der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, coronabedingt, erstmalig auf einer Open-Air-Bühne auf dem Campus der Hochschule statt. In den Vorjahren waren die Besucher traditionell für diesen Anlass in die Semperoper geströmt. Jetzt zeigt sich, dass sich beides miteinander kombinieren lässt. Und das ergibt tatsächlich Sinn.

Auf der Sommerbühne gibt es keine Möglichkeiten, mit einer effektvollen Lichtchoreografie die Arbeiten zu begleiten. Das Publikum sitzt ebenerdig; was man zu sehen bekommt, ist das „Handwerk“, von dem nichts ablenken kann. Nach der diesjährigen Premiere gibt es am 14. Juli zusätzlich die Gelegenheit, in der Oper das Programm mit allem Tamtam zu genießen. Bei dieser Gelegenheit werden dann auch die diesjährigen Stipendiatinnen und Stipendiaten ausgezeichnet. Preisträger des DAAD-Stipendiums ist in diesem Jahr Victor Duval (3. Studienjahr, Bachelor-Studiengang Tanz). Antonia Rosenkranz (2. Studienjahr, Bachelor-Studiengang Tanz) erhält das Stipendium der Proskenion Stiftung. Die Deutschlandstipendien gehen in diesem Jahr an Michalis Demiotis) und Ruri Wakiyama (beide 1. Studienjahr, Bachelor-Studiengang Tanz) sowie an Richard Jones im Masterstudiengang Dance Teacher.

Inhaltlich gestaltet sich die Soiree wie gewohnt: Alle Altersklassen sind ihrem Leistungsniveau entsprechend in Arbeiten zu sehen, die aus unterschiedlichen Bewegungsansätzen schöpfen. Allerdings hat die Palucca-Schule jetzt einen Kniff gewagt, der tatsächlich aufgeht und einen Perspektivwechsel zulässt. Statt wie gewohnt mit den Jüngsten zu beginnen und sich im Lauf des Abends „chronologisch“ bis zum ältesten Studienjahr vorzuarbeiten, wechseln sich hier die Orientierungsklassen mit den erfahreneren Jahrgängen ab. Dadurch wird dem Publikum die Möglichkeit gegeben, sich immer wieder aufs Neue auf die entsprechenden Niveaus einzulassen, zumal damit Arbeiten direkt hintereinander platziert sind, die so auch stilistisch mehr Abwechslung mitbringen.

Man könnte durchaus meinen, dass es dabei etwas schade ist, dass mit einem Balanchine gleich zu Anfang das meiste Pulver verschossen wird, aber sei’s drum. In „Allegro Brillante“ zeigen die Studierenden des 2. und 3. Studienjahrs, dass ein Balanchine nicht nur echte Knochenarbeit ist, sondern auch, worauf es bei diesem traditionellen Ballettvokabular eben ankommt. Sicherlich wirkt das in einem solchen sommerlichen Rahmen für manchen etwas aus der Zeit gefallen. Das Männerbild, das sich da auf der Bühne zeigt, hat eben weniger mit uns zu tun. Das Bild der Frauen ja genau so wenig. Entscheidend ist aber, dass hier die gesamte Gruppe glänzt. Allerdings verblasst das Ensemble zwangsläufig angesichts der beiden Solist*innen Francesca Cesaro und Nathaniel André Plantier, beide Teilnehmer des Elevenprogramms. Cesare fegt mit einer punktgenauen Grandezza über die Bühne, als wäre das alles ein Kinderspiel. Ihre Ausdrucksfähigkeit zeigt sich als derart strahlend, dass sie ihren eigentlich tatsächlich genau so überzeugenden Partner glatt in den Schatten stellt und ihn fast nur für die Hebefiguren funktionalisiert. Da wird sofort klar, dass das der Höhepunkt ist. Alles und jeder muss sich an diesen beiden messen lassen.

Die Nachwuchsförderklasse 1 scheint mit ihrem „Tarab“ von José Biondi fast ein bisschen unterfordert. Sie starten zu einer Art „Japan-Test“, indem sie immer wieder nach vorn drängen, abrupt stoppen und die Richtung umkehren. Dazu basslastige Musik, die ein bisschen zu schwerfällig für eine so junge Truppe daher kommt. Trotzdem gelingen mit ein paar Urban-Einflüssen aus dem Breaking nette Auflockerungen.

Die Nachwuchsförderklasse 4 wird von Katharina Christl in neonbunter Retro-80er-Aerobic-Couture in eine Mischung aus pulsierendem Schritttanz und kontemplativ verspielten tableaux vivants geschickt, in denen sie sich entspannt ihrer Sneaker entledigen dürfen. Das ist locker, das macht Spaß.

Durch die große Spannweite in den Altersunterschieden zeigt sich auch immer wieder die Verschiedenheit des Ausdrucks durch das eigene Körperbewusstsein. Je jünger die Tänzerinnen und Tänzer, desto unbekümmerter und geradezu frech toben sie über die Bühne, als wäre das alles selbstverständlich. Die Freude am Ausdruck macht bei den Älteren, naturgegeben, einer stärkeren Ernsthaftigkeit Platz, was nicht unbedingt an den einzelnen Bewegungsansätzen liegt. Sichtbar werden dadurch in der Gesamtheit die Veränderungen, die junge Menschen im Lauf ihrer Entwicklung als Tänzerinnen und Tänzer durchlaufen. Das körperliche Selbstempfinden verändert sich sichtbar.

Zwei Ausschnitte aus Arbeiten Ohad Naharins erlauben den Beteiligten herrlich blödsinniges Grinsen mit den bekannt impulsiven, raumgreifenden Gaga-Ansätzen. Die Vielfalt, die daraus spricht, zieht sich durch den gesamten Abend und lässt das Ganze äußerst unterhaltsam werden. Einzig Nicholas Palmquists bekannt peinlich flache Musikvideo-Ästhetik, die wie üblich auch diese jungen Tänzerinnen und Tänzer sichtbar komplett unterfordert, will so gar nicht in den Abend passen und hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Erfreulicherweise überzeugen die Tänzerinnen und Tänzer mit diesem Gehopse aber trotzdem, wenngleich ex negativo.

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