„2 m2“ von Lorenzo Topino, Tanz: Lorenzo Topino, William Thomas

Alter und Ego. Und Alter Ego

Bachelor-Arbeiten der Palucca Hochschule in Dresden

Kein „Ich tanze, also bin ich“, kein Arvo Pärt. Die Studierenden zeigen, dass sie ganz bei sich sind. Besser geht’s kaum.

Dresden, 11/06/2022

Man hat’s nicht leicht als Rezensent. Ganze 12 Arbeiten an einem Abend, und alle überzeugen. Wen erwähnt man, wessen Arbeit bleibt unbesprochen? Was macht das? Der Grüne Saal der Palucca Hochschule in Dresden ist vollgepackt, vor der Tür, im Garten, wird gerade die riesige Bühne für die Sommersaison aufgebaut. Das alles wäre auch draußen schön gewesen. Geht so aber auch. Und sogar ziemlich gut.

Der Auftakt: ein Tisch, ein Stuhl. Tim Hutsch robbt auf die Bühne. Es ist ein vermeintlich steifes Bein, das ihn augenscheinlich daran hindert, mehr zu tun, das zu tun, was das Publikum von einem Tänzer erwartet. Dieses Unterlaufen der Erwartungen ist clever. Denn klar ist, dass er kann. Er wählt aber eben aus. Er sitzt am Tisch, alles, was passiert, läuft oberhalb der Hüften ab. Und das ist nicht wenig. Selbstvergessen, introspektiv. Aber trotzdem, natürlich: mitteilend. Und später dann doch auf zwei Beinen, ganz ohne Einschränkung. Gekonnt, gelungen, völlig sicher im Ausdruck. Kongenial.

Kongenialität ist es auch, was sich durch diesen Abend zieht. Es ist eine Klarheit und Sicherheit im Ausdruck, eine ruhige Art des Selbstverständnisses, das die Studierenden mit ihren Bachelor-Arbeiten hier abliefern. Es sind Solos und Duos, so die Vorgabe, die eine Art Konzentration auf das Wesentliche schaffen. Die Solos sind, wie könnte es anders sein, ichbezogen, die Duos, sensibel, durchdacht, dröseln Kommunikation auf, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Miteinanders. Vorhersehbar wird dadurch aber trotzdem nichts. Immer wieder wird das Publikum überrascht. Timothé Durand wagt sich in Strauss‘ ausgelutschten Donau-Walzer. Und keine Sekunde lang kommt Langeweile auf. Er rutscht nicht auf dem Schmalz vergangener Glorie aus, sondern schält sich gekonnt aus der Tradition klassischen Ballett-Vokabulars entspannt heraus und rekontextualisiert den Dreivierteltakt in einer ganz eigenen Sprache. Nebenher noch ein schmissiges Video in gefühlter Endlosschleife. Er führt das Publikum auf eine falsche Fährte und dreht dem Gestern respektvoll eine lange Nase. 

Dabei dauert es nicht lange, bis der Publikumsliebling des Abends fest steht. Es sind Sockenhalter. „2 m2“ hat sich Lorenzo Topino gemeinsam mit William Thomas ergattert. Beide schmückt das Accessoire als Ausdruck von, ja wovon eigentlich? Beide liegen auf dem Rücken hinter dem schwarzen Backdrop und bieten eine Bein-Choreografie zum Besten, die schlichtweg Ironie durchbuchstabiert. Dort bleiben sie aber, Gott sei es gedankt, nicht. Was sie auf die eigenen Beine stellen ist eine nervöse, fragmentierte Bewegungssprache, die vor Kreativität aus den Nähten zu platzen droht. Dieses Vokabular scheint unerschöpflich. Da scheint ein Huhn über die Bühne zu puckern, im nächsten Moment, und immer wieder, wird ganz kurz ein überdrehtes Posing angedeutet, dass man sich direkt im Voguing wiederzufinden meint. Die Intensität und Kreativität dieser Arbeit ist derart stark und intensiv, dass sie den Rest des Abends, nolens volens, auf die hinteren Plätze verweist. Angesichts der durchweg hohen Qualität der Arbeiten will das wirklich was heißen. 

Dann hat es noch einen Blockbuster als großes Kino („Shifting Dune“ von und mit Matteo Thiele), kindliche Unbeholfenheit, die verständnisvoll über sich selbst hinaus wächst („Ice Cream and Other Breakfast Foods“, Victor Duval mit Léonard Blondel) und und und. Und alles ist stimmig, durchdacht. Vor allem ist alles gereift. Hier wird deutlich, dass die Mentoren-Arbeit durch die Betreuenden nicht nur eine sichere Hand geboten hat, sondern gleichzeitig den nötigen Freiraum, sich selbst zum Ausdruck bringen zu können. Genau darauf kommt es an. Da sollte man meinen, dass es auf der Sommerbühne genau so weitergehen wird, mit der alljährlichen Soiree aller Studierenden als Höhepunkt des Jahres. 
 

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