Meg Stuart
Meg Stuart

Wir müssen reden! Wir müssen tanzen!

Wünsche, Erwartungen, Ideen: Erstes Gespräch zum Tanzkongress 2019

Schon in den Jahren 1927, 1928 und 1930 gab es in Deutschland „Tänzerkongresse“. Von der Kulturstiftung des Bundes 2006 wieder ins Leben gerufen, findet der Tanzkongress seither alle drei Jahre statt - im kommenden Jahr in Dresden.

Dresden, 09/10/2018

Schon in den Jahren 1927, 1928 und 1930 fanden in Deutschland „Tänzerkongresse“ statt. Man tauschte sich aus in der Aufbruchstimmung des modernen Tanzes über Chancen, Potenziale einer freien Bewegungskultur und damit verbundener sozialer Utopien. Es ging um Arbeits- und Ausbildungsbedingungen und Diskussionen von damals über Existenzbedingungen von Tänzerinnen und Tänzern haben die Zeiten bis heute überdauert.

Tragisch allerdings, dass maßgebliche Initiatoren dieser ersten Kongresse, wie z.B. der Choreograf Rudolf von Laban, sich von der nationalsozialistischen Kulturpolitik vereinnahmen ließen und aus den freiheitlichen Ansätzen tänzerischer Formen der Körperkultur nicht selten choreografische Masseninszenierungen wurden. Versuche, in den 1950er Jahren die Tradition dieser Kongresse in Westdeutschland unter den Gesichtspunkten der neuen Aufbruchstimmung des zeitgenössischen Tanzes in internationalen Kontexten wieder aufzunehmen, konnten sich nicht etablieren.

Im Jahre 2006 wurde von der Kulturstiftung des Bundes der Tanzkongress wieder ins Leben gerufen. Seitdem findet er alle drei Jahre statt und für das kommenden Jahr, vom 5. bis zum 9. Juni, konnte sich Dresden mit seiner Bewerbung gegen Städte wie Freiburg oder München durchsetzen. Hauptort des Kongresses ist Hellerau, das Europäische Zentrum der Künste in Dresden. Das hat für die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, nicht zuletzt auch eine historische Tradition, denn für sie steht fest, dass das, „was wir heute in vielfältiger Form als freien, zeitgenössischen Tanz kennen“, hier seinen Ursprung habe. Für sie stehe somit in Sachsen „nicht nur die Wiege des modernen Ausdruckstanzes“ sondern es gebe hier „auch heute eine vielfältige und lebendige Tanzszene“.

Damit ist auch klar, dass dieser Dresdner Tanzkongress nicht nur an einem Versammlungs- und Veranstaltungsort in überkommener Logik kurzlebiger und am Ende erfüllter, erledigter und abzuhakender Förderrichtlinien stattfinden soll. Dafür dürfte schon die Tatsache stehen, dass man mit der künstlerischen Leitung die Choreografin und Tänzerin Meg Stuart beauftragt hat, die mit ihren Arbeiten und performativen Projekten bei hoher, internationaler Beachtung ganz sicher die Räume des Experiments weit über den Hauptort des Kongresses hinaus in den Dresdner Stadtraum erweitern wird. Die in Berlin und Brüssel lebende und arbeitende US-Amerikanerin wurde Anfang des Jahres im Rahmen der Tanz-Biennale in Venedig für ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen geehrt. Kurz darauf im September wurde sie in Essen mit ihrer Kompanie Damaged Goods als „Herausragende Interpretin“ des Deutschen Tanzpreises geehrt.

Ungewöhnlich war es, wie sie nun das erste öffentliche Gespräch in der Vorbereitung des Kongresses am Montagabend in der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, die Partnerinstitution ist, eröffnete. Sie brachte die zahlreich erschienenen Teilnehmenden in Bewegung, führte sie zusammen, wirbelte die Gruppe durcheinander, um mit leichten Atemübungen wieder konzentrierte Ruhe einkehren zu lassen. Diese Art der zunächst nonverbalen Bewegungskommunikation steht für das angestrebte Versammlungsformat, in dem zeitgenössische Fragen des Tanzes praxisorientiert und gemeinschaftlich verhandelt werden sollen.

Weil es offensichtlich nicht im Sinne einer Konferenzchefin wie Meg Stuart ist, stellt diese auch jetzt kein Konzept vor, sondern hört vor allem zu, konzentriert und ausdauernd, unter sensibler Moderation von Margarita Tsomou. Die Beiträge kommen aus einem weiten Spektrum Dresdner Künstlerinnen und Künstler unterschiedlichster Facetten des Tanzes, der Bildenden Künste, der Performance und auch der Kunst- und Tanzvermittlung, Veranstaltern und Organisatoren.

Natürlich spielt die aktuelle sächsische Situation politischer und auch kulturpolitischer Auseinandersetzungen und Befürchtungen eine Rolle. Immer wieder kommt es zu Ideen, Vorschlägen und praxiserprobten Schilderungen, gerade im Hinblick auf den Tanz, in Zusammenhang mit der Frage, wie Kunst die Räume individueller Wahrnehmungen weiten kann und die Begegnung mit unbekannten Formen der Kunst bestenfalls Ängste bannen kann vor der Begegnung mit unbekannten Kulturen und Lebensweisen. Daran schließt sich die Frage nach den Adressaten eines solchen Kongresses in Dresden. Sind es nur die „Insider“ oder sollte doch besser der Versuch unternommen werden, aus den engen Kreisen der eingeschränkten Wahrnehmung, an den bekannten, aber letztlich abgegrenzten Orten der freien Dresdner Kunst- und Kulturszene hinauszugehen?

In Hinblick auf die Existenzsituation für freie Tänzerinnen und Tänzer im Kontext der speziellen Dresdner Fördersituation, über deren Unangemessenheit man sich einig ist, wird es wichtig sein, die eigenen Probleme im Kontext der Erfahrungen von Arbeitssituationen der freien Künstler anderer Länder und Erdteile zu bedenken.

Natürlich spielt immer wieder die Frage eine Rolle, wie sich Dresden als Gastgeber präsentieren kann und wie bestenfalls die gastgebenden DresdnerInnen Konferenz- und Festivalgäste werden. Wie also kann die Kunst ihre Grenzen durchbrechen? Denn wenn Tanzstadt, dann für alle, es kommt auf die Professionalität der Angebote und Möglichkeiten für nichtprofessionelle Tänzerinnen und Tänzer an. Ganz praktisch geht es um Ideen, Menschen in Bewegung zu bringen, es ist die Rede davon, auf der Konferenz „getanzte Vorträge“ zu halten und das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Kunst nicht die Existenzberechtigung zu erbringen hat, aber gerade deshalb sich nicht in einem luftleeren Raum abspiele.

An Ideen und Wünschen, auch an Visionen und entsprechender Fantasie mangelt es nicht. Wenn daraus erstmal Chaos entstehen sollte, ist das kein Problem, es lässt sich konstruktiv und kreativ in die Bahnen lenken. Das könnte Prüfstein dafür sein, wie ein immer wieder von den gesellschaftlichen und politischen Kräften geforderter, freiheitlicher und demokratischer Umgang auch unter KünstlerInnen funktioniert. Eigentlich, so der Eindruck nach knapp zwei Stunden, hat der Kongress in Form eines Dauerprojektes längst begonnen. Das dürfte ganz im Interesse der Verantwortlichen sein: der Kulturstiftung des Bundes, die den Dresdner Tanzkongress und dessen Vorbereitung mit knapp einer Million Euro fördert, der Stadt Dresden, die knapp 100.000 Euro dazu gibt und natürlich den Kooperationspartnern Hellerau, dem Goethe Institut, der Hochschule für Bildende Künste und der Berliner Unternehmergesellschaft DIEHL+RITTER.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern