Tanzkongress 2019
Tanzkongress 2019

>Kreise(n)<

Ein Kommentar zum Tanzkongress 2019

Seit Tagen diskutieren wir: Während einige begeistert über ihre Erfahrungen berichten, sind wir irritiert. Dieser Irritation Ausdruck zu verleihen und ein Format zu hinterfragen, führt manchmal auch zu kritisch anmutenden Worten. Letztlich sind diese jedoch eine Reaktion auf eine radikale Form des Tanzkongresses.

Köln / Essen, 14/06/2019

Seit Tagen diskutieren wir. Während des Kongresses mit KollegInnen aus Tanzwissenschaft und Journalismus, mit Studierenden, mit neuen Bekanntschaften, die während der fünf Tage in Hellerau geschlossen wurden. Zurück in unseren Arbeitsstätten diskutieren wir weiter - mit KollegInnen, die Teil dieses Happenings oder Mysteriums, wie es auch genannt wurde, waren und mit denen, die nicht dabei waren. Das Motto einer „long lasting affair“ hat sich eingelöst, die Erinnerungen und Erfahrungen an diesen Kongress in Hellerau werden wir so schnell nicht wieder los. Während einige begeistert berichten, sind wir irritiert. Dieser Irritation Ausdruck zu verleihen, sie zur Diskussion zu stellen und ein Format zu hinterfragen, das uns nicht zuletzt auch positive Momente bescherte, führt manchmal auch zu kritisch anmutenden Worten. Letztlich sind diese jedoch eine Reaktion auf eine radikale Form des Tanzkongresses.

Point Zero
Etwas zu seinen Wurzeln zurückzuführen, kann vieles bedeuten. Bei Meg Stuart und ihrem Team scheint die Rückbesinnung auf das historische Erbe des Ortes Hellerau, der eng mit den Tanz- und Lebensreformbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbunden ist, auch eine Art Tabula Rasa zu sein: weg mit allem, was da ist, und her mit der Utopie. Sich der Vergangenheit, Gegenwart und zum Teil auch der Zukunft zu entledigen, ähnlich der schlechten Energien, die in manchen Formaten des diesjährigen Tanzkongresses mit Salbei-Räucherwerk oder Waschungen vertrieben wurden, scheint einer der Grundgedanken zu sein. „We don’t know if there will be another congress… I hope, I really hope… with my heart.” So in etwa formuliert die US-amerikanische Choreografin am Ende die Zukunft des Tanzkongresses. Sollte es in drei Jahren weitergehen: Von einem Kongress dieser Art wollen wir nicht mehr Teil sein. Zu befremdlich und radikal waren die fünf Tage kollektiver Erfahrung der in Hellerau kreierten „intentional community“, wie das Konzept während der Eröffnung vorgestellt wird.

„The Tanzkongress happens now – thank you for taking part in being changed.”

Verändert, transformiert und Teil von etwas zu werden, das ist – vor allem in der Tanzwelt – kein unbekanntes und erstmal durchaus vielversprechend klingendes Vokabular. Doch „intentional communities“ (als feststehender Begriff weist dieser auf Gemeinschaften wie Ökodörfer, Kommunen, Aschrams, Kibbuze und andere Kooperativen hin) folgen einer klaren Logik des Teilens – von individuellem Wissen, Fähigkeiten, Werten, Materiellem – und damit gleichzeitig der Logik von vielgestaltigen Abhängigkeitsverhältnissen. Es gibt also, wie so oft, zwei Seiten der Medaille. All dies wird im Laufe des Kongresses spür- und sichtbar, thematisiert wird es jedoch nicht. Auch nicht die kritisch erscheinenden Aspekte. Alles bleibt auf der Ebene der Erfahrung, Reflexionen des Erlebten gibt es nicht. Und Tanz ist in diesem sozial-utopischen Prozess nur noch eine Randerscheinung. In einem Prozess, der darauf abzielt, zumindest für wenige Tage „a society like we want it to be“ zu kreieren. Doch wer ist dieses Wir?

Es scheint in jedem Fall klar definiert zu sein. Denn in dieser „intentional community“ finden zwar zu gesellschaftlichen Minderheiten zuzurechnende Positionen der Queer-Szene und ‚People of Color‘ ihren Platz, doch sind dies lange nicht alle benachteiligten Gesellschaftsgruppen wie bereits Marita Matzk in Bezug auf KünsterInnen mit Familie oder vier VerfasserInnen eines offenen Briefes in Bezug auf Inklusion von Menschen mit Behinderungen formulieren. Und sollte es nicht viel eher grundsätzlich um den Umgang mit Benachteiligung gehen, als darum einzelne Positionen zentral zu setzen?

In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft zunehmend polarisiert, scheint es fatal, sich mit einem Kongress, bei dem es um eine bundesweite und internationale Repräsentation und Wahrnehmung einer Tanzszene gehen könnte, konzeptuell und thematisch abzugrenzen, anstatt eine Öffnung vorzunehmen. Denn Offenheit vollzog sich bei diesem Kongress nur innerhalb eines im Vorhinein festgelegten Verständnisses und Systems. Die 500 Teilnehmenden wurden mit ihrer Kongressanmeldung Teil einer Gemeinschaft, ohne vorher in die während des Kongresses deutlich und kompromisslos gelebten Werte und Gemeinsamkeiten eingewilligt zu haben. Gut, die Bereitschaft sich auf das Unbekannte einzulassen, wurde von Beginn an klar kommuniziert. Doch sollte nicht gerade deshalb der Bereitschaft der Teilnehmenden sich darauf einzulassen mit dem größtmöglichen Respekt und der größtmöglichen Offenheit begegnet werden? Sich aufeinander einzulassen, eine gegenseitige Neugier zu etablieren und die Strukturen der fünf gemeinsamen Tage auszuhandeln, wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen. So wurde der Tanzkongress jedoch lediglich zum Kristallisationspunkt einiger weniger Diskurse, die in Teilen der Gesellschaft geführt werden, sich mit ‚dem Rest‘ aber nicht direkt auseinandersetzen oder austauschen (wollen?).

Gruppenstrukturen
Durch Ziehen einer spell-Karte (englisch für Fluch) zu Kongressbeginn wird man per Zufall einer der 25 Gruppen von Meg Stuarts ‚Branches‘ (GruppenleiterInnen) zugeordnet. Mit einher geht ein Motto für die folgenden fünf Tage wie etwa „Cleansing/Charging“, „Salad & Cake“, „No Shame“ oder „Sharing Presence“. Jede Gruppe beginnt mit einem eigenen Ritual, das mal mehr mystisch-reinigend ausgerichtet ist, mal die Selbstsorge fokussiert oder mit körperlichen Manifestationen durch gemeinsame Berührungen arbeitet, und schon ist man Mitglied der Gruppe und bereit für die Prozesse der nächsten Tage. Nicht nur spirituell sind diese ‚spells’ gedacht, auch praktische Aufgaben knüpfen sich daran wie Frühstück bereiten, Abwaschen und Aufräumen, Gemüse schneiden, die Teeküche betreuen. Der Clou an der Sache: Nur als Gruppe erhält man mittags und abends sein Essen, die Organisation bleibt Verhandlungssache, Aufgaben werden aufgeteilt und es muss sich jede/r auf jede/n verlassen können – so wird in den ersten beiden Tagen die Nahrungsaufnahme zu einem der bestimmenden Themen, angelehnt an das Beuys‘sche Konzept der sozialen Plastik. Mit dieser Organisation des Essens nutzt der Kongress eines der fundamentalen Bedürfnisse des Menschen zur Generierung sozialer Strukturen. Da gibt es kaum ein Entkommen. Diese gipfelt im gemeinsamen mehrgängigen Dinner aller Anwesenden am Freitagabend, das sich nur durch das Engagement jedes Einzelnen und jeder Einzelnen für die gegenseitige Versorgung vollziehen kann. Als „social choreography“ ist dieser Abend ja auch angekündigt.

Überhaupt sind gruppenbildende Maßnahmen wie gemeinsam Essen, Schweigen, Berührungen oder kollektiv gestaltete rhythmische Aktionen wie Gehen oder Klatschen zentrales Element der ganzen fünf Tage. Eine große Rolle spielen dabei Stimulierungen der Sinne, wenn etwa beim Hellerau-Walk, einem mit persönlichen Geschichten und romantischen Lieder untermalten Gang durch die Gartenstadt, alle Teilnehmenden Lavendelöl auf ihre Schläfen geträufelt bekommen oder wenn Räume über Nebel, Räucherstäbchen oder bis ins Detail durchdachte Lichtkonzepte atmosphärisch verdichtet werden und über Augen, Nase, Ohren und Haut Eingang in den Körper finden. Als singuläre Ereignisse wirken diese Aktionen harmlos, in ihrer Gesamtheit über fünf Tage als kleine, wiederkehrende Bestandteile des Kongresses wird das geforderte Einschwören auf eine Gemeinschaft zunehmend übergriffig. Die geschaffenen Atmosphären erlauben kaum ein Ausweichen. Natürlich lässt sich Nein-Sagen zu diesen Angeboten, doch im selben Moment entstehen Schuldgefühle und Zweifel an sich selbst. Ist man etwa nicht offen genug, wenn man an dieser Form des Zusammenlebens nicht teilnehmen möchte? Außerdem kommt ein Nein in der (Wohlfühl-)Atmosphäre des gemeinschaftlichen Tuns und der permanenten Emotionalisierung von Ereignissen einer totalen Verweigerung und Abwehr gleich.

Manche sind begeistert von den körperlichen Erfahrungen, andere nehmen das Angebot als eine Art Retreat an, oft geht es darum sich wohlzufühlen, und irgendwie machen alle mit. Eine Vereinzelung setzt dann aber ein, und das ziemlich rasch, als am Samstag der Kongress geöffnet wird: durch Walks in Hellerau, zur ehemaligen Villa Mary Wigmans und danach an die Elbe, um auch in der Stadt Präsenz zu zeigen. Wie schnell die Gemeinschaft in sich zusammenfallen kann, zeigt eben jener Tag. Am Sonntag kehrt man wieder zurück nach Hellerau, bildet ein weiteres Mal in den als „Conventions“ titulierten Abschlussrunden kleine Grüppchen, um sich am Ende in der großen Abschlussrunde – um ein aus pink-violetten Leuchtstoffröhren gelegtes LOVE – zu versammeln. So kann man die Auflösungserscheinungen des Samstags ganz gut verdrängen. Vielleicht war es auch ein Test, inwieweit die Gruppe ohne äußeren Rahmen bereits gefestigt ist? Wenn ja, hätte diesen ein Großteil nicht bestanden.

Für uns lässt sich das Wort der Gemeinschaft bzw. der gemeinschaftlichen Erfahrung nach diesem Kongress kaum mehr neutral denken. Zu eng wird Gruppenerfahrung hier mit sozialen und politischen Ansichten verknüpft. Im Konzept Meg Stuarts scheint Tanz der Weg zu sein, um über Körperlichkeit bestimmte Haltungen, Wertesysteme und Weltanschauungen zu vermitteln. Dass unsere Welt keine ideale ist, ist selbstverständlich. Ob wir uns und sie in diesem Format ‚heilen‘ können - ein Wort, das im Kontext des Tanzkongresses und der einzelnen Workshops äußerst häufig auftaucht -, und ob ‚Heilung‘ anstatt Veränderung der passende Ansatz ist, bleibt eine weitere Frage, die wir aus diesen Tagen mitnehmen. Denn wer bestimmt, wie eine gesunde/geheilte Gemeinschaft aussieht? Und schon taucht erneut die Frage nach dem ‚Wir‘ auf.

Happening
Das, was da fünf Tage lang in Hellerau vollzogen wurde, ist ein ‚Takeover‘, ein Kapern des Formats. Der Tanzkongress als „Happening“, wie es im Programm heißt, ist eine gut geplante Improvisation des sich selbst Zelebrierens. Ja, hier geschieht etwas im Sinne von ‚it happens‘, das ist nicht zu verleugnen. Neues geschieht dabei jedoch wenig. So entsteht eine Blase, die sich langsam, aber sicher über das Festspielhaus Hellerau stülpt und die sich immer stärker um sich selbst dreht.

Man hört, die Planung des Kongresses sei lange im Vagen geblieben. So sei eben Meg Stuarts Arbeitsweise, prozessorientiert und umgeben mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Materialien. War den Mitveranstaltenden und den Mitgliedern des Leitungsteams also ebenso wenig bewusst, auf welche Vision sie sich da einlassen würden, wie den Teilnehmenden? Die Struktur, die über zwei Jahre geplant wurde, hat in ihrer offenen Form sicherlich erst während des Kongresses ihr ganzes (auch radikales) Potential entfaltet und offengelegt. Getragen von verschiedenen Gemeinschaften und Einzelpersonen, die sich seit Jahren in Meg Stuarts Umfeld bewegen, entstand etwas, das trotz der hermetischen Rigidität Freiräume für Positionierungen der Eingeladenen ließ – seien es esoterische oder links-aktivistische Ideen. Für anderes war wenig Platz. Meg Stuart verschwindet meist unter den Teilnehmenden und meidet in all den Tagen ihre Exposition, und doch ist sie die Figur, um die sich alles dreht. Ihre Nähe wird gesucht, genauso wie ein Raunen durch den Saal geht, wenn sie durch die Tür tritt. Auch das ist ein bewährtes Mittel, um Gemeinschaft zu kreieren, im gemeinsamen Warten und in der Bewunderung für eine so nah erscheinende und gleichzeitig so unerreichbare Figur.

Politik - Kunst / Kunst - Politik
Das alles hat irgendwie politische Dimensionen. Nicht nur in der Entwicklung einer sozialen Utopie, auch im künstlerischen Verständnis. „Activism as art“, heißt es im Vorübergehen in einer der vielen den Kongress beschließenden „Conventions“, die sich als offene Gesprächsrunden verstehen. Und Aktivisten agieren politisch - das ist richtig so und wichtig. Doch Kunst allgemein als aktivistisch zu deklarieren, ist eventuell etwas übergriffig angesichts der Heterogenität der zeitgenössischen Kunstszene. Und wofür jede/r einzelne/r KünstlerIn politisch steht, sollte vielleicht eine persönliche Entscheidung bleiben. Wir hatten nicht den Eindruck, dass diese persönliche Positionierung gewünscht ist. Sich hermetisch abzuschließen, um alle auf eine gemeinsame Basis einzuschwören – das sind keine neuen Konzepte. Und ob es die Zukunft der Tanzszene sein kann bzw. soll, wagen wir zu bezweifeln.

In jedem Fall folgt das Format einer ausgeklügelten Dramaturgie, geht durch verschiedene Phasen des Ankommens („Improvising the Past / Opening the Portal“), des Auswählens aus dem Programm („Radical Scheming / Collective Dreaming“), des sich Öffnens mit einer Reihe von durch Rituale geschaffenen Initiationsmomente vom Totentanz-Ritual bis hin zur Clubnacht („Down by the water / Grounding Earth / Planting Seeds / serious pleasure / Fusing Bonding / Connecting“) sowie des Ausklingens und Ausschleichens am letzten Tag („New Constellations“). Das alles ist professionell gemacht und funktioniert. Es entstehen Dynamiken, Atmosphären und Erfahrungen. Und es hat seinen Reiz. Wäre es ein Kunstprojekt Meg Stuarts, könnte man diese Vision einer sich durch Bewegung heilenden Gemeinschaft so stehen lassen, sie annehmen, kritisieren, diskutieren. Doch haben wir mit unserer Anmeldung im März (wohlgemerkt ohne das Programm oder Hintergründe dessen zu kennen) wirklich eingewilligt, Teil eines Kunstwerks werden zu wollen, statt Kongressteilnehmende zu sein? Wie verhält sich diese Inszenierung einer Gemeinschaft zu den politischen Ideen, die während der fünf Tage immer wieder ihre Wege finden? Wieviel davon ist intendiert, wieviel davon im festen Glauben an eine Verbesserung der Welt durch ein ganz bestimmtes Konzept von Tanz und Bewegung entstanden? Die Unsicherheit über ein Konzept, das unter dem Deckmantel eines Kongresses daherkommt, gar keiner sein will und doch wiederum so verstanden werden sollte, ist enorm. Denn der Tanzkongress ist kein Kunstwerk – oder sollte es zumindest nicht sein. Vielmehr stellt er eine der wenigen bundesweiten und internationalen Austauschmöglichkeiten dar, die es für die Tanzszene gibt. Und er ist kein privates Projekt, sondern wird durch öffentliche Gelder finanziert. In diesem Kontext erscheint Meg Stuarts Konzept, so gut es auch durchdacht war und funktioniert haben mag, unpassend – wenn nicht gar problematisch. Dem Tanzkongress als einem der wichtigsten und wohl bestgeförderten Formate für die Tanzszene Deutschlands diesen so ausschnitthaften und tendenziösen Stempel aufzudrücken und mit zahlreichen esoterischen (in ihrer Extra-Version als „Private Sessions“ auch kostenpflichtigen) oder gruppenideologischen Praktiken aufzuladen, ist unverantwortlich – gegenüber den Teilnehmenden, den verwendeten öffentlichen Geldern und einer Tanzszene, die so viel mehr Vielfalt und Bandbreite zu bieten hat.

Reflexion - nicht gewünscht?
Das Spiel mit Gruppendynamiken, das Hervorheben einzelner Diskurse, die Rückbindung an Lebensreformbewegungen und eine enge Verschränkung von Tanz und Lebenskonzept sind Themen, die ihre Relevanz haben, die zum Nachdenken anregen und Diskussionen in Gang setzen können. Doch Eines fällt eklatant auf: ein wirkliches reflexives Moment über die über fünf Tage geschaffenen Strukturen der temporären Gemeinschaft und ihren Anliegen wird nicht angeboten und stellt sich nicht ein, soll sich wohl auch gar nicht einstellen. Alles bleibt im Vagen, Begriffe schwirren durch die Luft, nicht selten auch hohle Phrasen des immer gleichen Institutionen- und Kapitalismus-Bashings. Raum für Erkenntnisse und eine realistische Anknüpfung an eine Wirklichkeit sind kaum gegeben. Wir sind ja auch eingeladen zum Träumen. Oder eben zum Praktizieren, Tanzschaffen. Inhalte, neue Strategien oder Konzepte braucht es – vor dem Hintergrund sich als Gemeinschaft zu spüren – anscheinend keine, weder in Hinblick auf Tanzszenen noch Gesellschaftsordnungen.

Es geht uns nicht um die Kritik an einzelnen Praktiken, sondern um die unhinterfragte und damit auch gefährliche Verknüpfung körperlich-gemeinschaftlicher Erfahrungen mit esoterischen Positionen und politischen Ideen im Rahmen des Formats ‚Tanzkongress‘. Wann ist das „agreement“, dass jede/r TeilnehmerIn zu Beginn gegeben hat, nicht mehr Ausrede und Entschuldigung, um auf Reflexionsräume verzichten zu können, in denen Kritik geäußert werden oder neue Ideen entstehen könnten?

Kann man als Teilnehmende/r dieses Prozedere um Gruppenstrukturen und esoterische Positionen einfach ausblenden? Sich stattdessen voll und ganz der durchaus angenehmen, körperlichen Erfahrung der Morgenmeditation, des gemeinsamen Yogas, Boxtrainings, Social Dancings widmen? Wir wollten das nicht. Zu stark war das Gefühl des Unbehagens gegenüber und innerhalb dieser angeleiteten Gruppenaufgaben, des Instrumentalisiert- und Manipuliert-Werdens.

Wie stehen KünstlerInnen wie Isabelle Schad, Trajal Harrell, deufert+plischke oder Florentina Holzinger (um nur einige von ihnen zu nennen) zu ihrer Teilnahme und damit Mit-Gestaltung des Programms? Lassen sich ihre Formate loslösen von den übergeordneten Strukturen der MacherInnen des Kongresses? Wie verhalten sich die Ideen des engeren Teams zu den Ideen Meg Stuarts? Und wie denken eigentlich die Geldgeber – die Bundeskulturstiftung und die Landeshauptstadt Dresden – darüber?

Statt zu reflektieren, werden die aufkommenden, durchaus ideologisch zu verstehenden Ansätze praktiziert und verkörpert und schleichen sich so unbewusst in die Körper der Anwesenden. Ein Bruch damit, der äußerst spannende Fragen hätte aufwerfen können, findet im Rahmen des Kongresses nicht statt. Im Gegenteil: es scheint der intendierte Versuch zu sein, körperliche Erfahrung und soziale Choreografie auf verschiedenen Ebenen der Affizierung zu nutzen, um die eigene Ideologie des Heilens einer Gesellschaft durch Tanz zu implementieren.

„To be changed“
Es lässt sich nicht leugnen, dass dieses Motto von Meg Stuart aufgegangen ist. Jeden, den dieses ‚Mysterium‘, erwischt hat, dürfte der Tanzkongress verändert haben; denn dieser hat Gedanken angestoßen, Grenzen aufgezeigt, Problematisches offengelegt, Selbstbestätigung betrieben und den ein oder anderen vielleicht auch verunsichert.

Das, was sich da ein kleiner, mit einem Übergewicht aus Meg Stuarts Umfeld und damit aus Berlin kommender Teil der Tanzszene ausgedacht hat, ist auf jeden Fall nicht unsere Vision einer vielfältigen, sich in Zentren UND Peripherien bewegenden Tanzszene.

Ob dieser Kongress die Tanzszene Deutschland verändert hat, bleibt fraglich. Denn das war keine Präsentation der vielfältigen Tanzszene Deutschlands und hoffentlich auch nicht der Blick in die Zukunft. Sollte die Tanzszene in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung nicht für Offenheit eintreten, fürs Zuhören, für ein demokratisches Aushandeln, anstatt sich in eine Gegenposition zu verschanzen?

Polarisierungen aufzuheben, nicht Enklave des Utopischen zu sein, könnte Ziel eines solchen Treffens sein. Ein Treffen, das mit öffentlichen Geldern bezahlt wird, sollte die Gesellschaft in all ihrer Heterogenität auch ernst nehmen, mit ihr in Dialog treten und sich nicht in einem geschlossenen Zirkel zurückziehen.

Zu viele Fragen bleiben offen, zu einseitig die Gestaltung des Formats, als dass hier längerfristige (strukturelle) Veränderungen ihren Anfang hätten nehmen können. Institutionskritik ist berechtigt, ist wichtig und notwendig, doch darf sie nicht bei der Negation stehen bleiben, sondern sollte konkrete Maßnahmen genauso in den Blick nehmen, wie sie Utopien entwickeln sollte. Das Ausspielen der Einen (Freie Szene) gegen die Anderen (Stadttheater) ist nun wirklich keine Innovation und wird letztendlich allen schaden.

Ein weiterer Tanzkongress muss her, der körperliche Erfahrung, Reflexion, Konkretes und Utopisches zusammenbringt. Einer, der eine Gemeinschaft bildet, die nicht „intentional“ ist, sondern sich auf gemeinsame Werte verständigt; eine Gemeinschaft, kein Kollektiv; eine Gemeinschaft, die für den Tanz in all seinen Facetten eintritt; die das Anderssein nicht nur zulässt, sondern schätzt. Eine Gemeinschaft - ohne ideologische Grundierung.

Kommentare

Noch keine Beiträge