Tanzkongress 2019: „Down by the water“

Tanzkongress 2019: „Down by the water“

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Zum Tanzkongress 2019

„Shine on me – Wir und die Sonne“. Im Hotel lag dieser knallgelbe Flyer des Deutschen Hygiene-Museums aus. Die Sonne schien on me an dem Draußen-Tag des Tanzkongresses, am Samstag. Draußen im Sinne von: rein in die Stadt.

Dresden, 10/06/2019

Und Wir
Am Mittag machten sich Gruppen von Hellerau aus auf. Hier kam die Beteiligung der Dresdner Tanzszene ins Spiel. Unser Pulk ließ sich von drei Tänzerinnen und einem Tänzer mit dunklen Mary-Wigman-Perücken führen durch die Neustadt, auf den Spuren, wie man so sagt, der bedeutenden Tänzerin, Choreografin, Pädagogin. Als „silent walk“ konzipiert und befolgt (typisch für Tanzleute?) ernteten wir erstaunte Blicke von PassantInnen oder den leisen Kommentar „ein Trauerzug“. Das stumme Gehen, gemeinsam, fand ich angenehm und entspannend. Nur schauen. An Straßenlampen gegenüber den Wigman-Stationen und -Adressen, klebten kleine Papiere mit Foto und einem Satz. Vorm Wigman-Haus, vor der efeubewachsenen Mauer vor dem verschlossenen Gelände, ein Tanz der vier Wigmans, von Katja Erfurth im grünen Kleid geleitet, aber ohne zu leiten. Ein Gleiten durch Zustände, vom leichten Wehen der Arme bis zum Hibbeln und Rütteln des Körpers. Auf dem Bürgersteig, in Turnschuhen. Auf einer Parkwiese brachten sie uns Mitgehende und Zuschauende dann Hand an Hand zur Formation, zu Reihen und zu einer Art Kreis und zum Rein zur Mitte und zum erhebenden Raus. Macht Spaß, aber ich fühlte mich, als erfülle ich ein Bild. Irgendjemand hat sicherlich geknipst.

Vorher gab’s am schönen Flussufer kurze Rast, linkerhand die berüchtigte Waldschlösschenbrücke, unauffällig, rechts, entfernt, die pompösen Innenstadtkuppeln. Plötzlich eine Stimme: Wigman herself. Dieser Duktus, das Überdeutliche. Sie spricht vom imaginären Raum.

„Schön, dass du tanzt“ - ein Aufkleber am Weg. Unter dem Satz ein gezeichneter Dackel, stehend.

Kurz hinter einem sich auflösenden Flohmarkt am anderen, am Dresdner Ufer schauen die Wigmäninnen, auf ein Treppchen aufgereiht, wie sinnierend zurück, von woher wir kamen, und legen feierliche ihre Haare ab. Wir treffen am Kopfsteinpflasterplatz vor einem Anleger den Kongress.

Büdchen, ein Bauwagen, ein kleines Gewächshaus, ein Holzaufbau zum Sitzen, plaudernde und essende Menschen und ganz, ganz viele kleine Pflanzen in Töpfchen, die nach einer Weile sehr leidend aussehen, weil sie vertrocknen. Mir entgeht der Sinn. Vielleicht weil ich die Instruktionen für KongressbesucherInnen, die es einen Tag vorher gab, nicht gründlich durchgelesen habe. Yogamatte mitbringen. Hab gar keine. Eine Pflanze und ein Buch zum Tauschen habe ich auch nicht eingesteckt. Hier am Platz soll, darf man sich kabellose Kopfhörer aufsetzen, damit Geschichten zuhören und dabei eine Pflanze im Arm halten. Mache ich nicht. Dieses Abkapseln der Ohren ist mir sowieso ungern. Mit Pflanzen spreche ich – nicht in aller Öffentlichkeit und nicht nach Anleitung. Was sollen uns, mit Blick auf das weite, schöne Grün des Elbeufers drüben diese buchstäblich entwurzelten Gewächse?


Jedem Töpfchen sein Stengelchen
Die Plaudernden ernten allmählich Sonnenbrände. Das Ausflugschiff gehört zur Veranstaltung, rührt sich aber nicht vom Platz. Ausflug ist also nur das Herumgehen von oben bis unten, vorn bis hinten. Es gibt ein Programm mit Performances (die einen kriechen herum auf Teppichboden, die anderen machen dynamisches 0815 auf dem Steg, eine Nixe in Weiß hebt ihre Arme auf dem Schiffdach) und Vorträge, ich erhasche beim Streunen einen kurzen Bericht über einen botanischen Garten in Angola. Genau das passiert, was oben in Hellerau vermieden wurde: die Ungeduld. Jahrmarkt, Volksfestchen. Aber ohne Volk. Der Barkeeper wedelt tänzerisch mit dem Abwaschtuch.

Kann sein, dass dieses – nicht Verankern, sondern – Anbinden, Antauen an die Stadtgesellschaft später am Tag doch noch funktioniert hat. Früchte getragen hat. Das Pflanzenprojekt startete ja schon vor dem Kongress oder soll danach weitergehen. Irgendein anderer Kongress kann es nächste Woche begießen. Ich mache mich davon Richtung Hauptbahnhof.


Statt pflanzen tanzen
Der Vormittag ist noch nachzuholen, der „Totentanz“, als „Ritual“ angekündigt, im Großen Saal. Maria Scaroni leitet diese gut zwei Stunden ein mit einer angenehm klaren, aufgeklärten Art; sie bezeichnet sich selbst als Nicht-Gläubige, die, sinngemäß, mit der Praxis von Religionen hantiere. Erst eine Fußmassage, dann den „Small Dance“ von Steve Paxton im Stehen, every cell knows where is down, die Knochen aber bauen sich aufeinander auf, hinauf. One to two to many. Sie benennt „Spuren“, von wem sie was übernommen, gelernt hat, was sie hier einsetzt. Und schließlich das „Ritual“ anhand von Überlegungen zu den mittelalterlichen Totentänzen und einer Szene aus Dantes Inferno, beim Herabsteigen Stürmen ausgesetzt zu sein, geweht zu werden. Gleichzeitig solle in der Mitte des im Kreis und Fluss betanzten Raumes etwas aufgebaut werden aus langen Holzstäben und Kabelbindern, das ein paar lange Luftblasen trage.

Den Sound dazu macht Marc Lohr am verstärkten Schlagzeug, er treibt, er grummelt, eine kleine Nebelmaschine pustet von oben, unten wedelt eine Kollegin den Rauch gezündelter Kräuter in den Raum. Salbei? Etwas Schlechtes sei in dem Raum, von früher, er brauche eine Reinigung oder Heilung, habe eine Expertin gesagt, die sich mit so etwas auskenne. Dazu die Aufgabe, mit Erinnerung an die Weltgeschichte samt Kolonialismus das Trauern, „mourning“, und „progress“ nachzufühlen, zu verkörpern. Ekstase dürfe sich einstellen, das Überschreiten, Liebe. „Alone together“. Daraus wird nicht ein Kreistanz, sondern ein Tanzen im Laufen im Kreis, also Oval, nach 20 Minuten in der umgekehrten Richtung. Etwas passiert, vielleicht. Was immer jede, jeder einzelne da mit sich und im Gebrause erlebt. Mir ist irgendwann dieser lärmende Gruppendrall an genau diesem Ort unangenehm. Ob das mein Gedanke ist oder der zu „reinigende“ Ort unseren schweißtreibenden Versuch auslacht? Ich gehe weiter. Renne. Das Gefühl, dass unser Rauschen nix ausrichtet, außer in uns selber. Schon ok.

Nicht ok, dass mehrere Kameras das „Ritual“ begafften. Die ZuschauerInnen weit oben auf der Galerie hielten wenigstens dezenten Abstand.


Spökenkieker
Jene ältere Dresdnerin hatte erzählt, im MDR-Radio sei der Kongress schon vor Beginn lächerlich gemacht worden. Von wegen „Heilen“, Esoterik und so. „Das ist gemein“, nahm sie ihn in Schutz, „schaut doch erstmal, was da ist“. Deshalb bin ich hingefahren. Mein Fazit: Der Tanzkongress als solcher, falls es ihn je wieder gibt, kann hinter diesen nicht mehr zurück. Es war Zeit, das Format zu kippen.

Aber wohin? Mit welchem Neigungswinkel? Niemand hat hier Bäume umarmt. Oder doch? Ich hab’s nicht gesehen. Ich lache über so etwas, aber lehne es nicht ab; einer meiner Tai-Chi-Meister hat seine SchülerInnen das auch machen lassen. Aber das Lauschig-Insidermäßige der Tänzergemeinde ist mir zuweilen suspekt. Dass sie selbst dauernd „Heilung“ braucht, weil es hart ist, sich beruflich zu behaupten: ja. Tja, da seid ihr nicht die Einzigen. Aber wie und von wem bezahlt? Dass sich Tanzschaffende aus aller Welt (genauer: aus bestimmten Regionen, so dass sie hier mit Goethe-Instituts-Hilfe zugegen waren) gegenseitig ihre Praktiken zeigen, neudeutsch: teilen, auf Yogamatten oder woanders: super Idee. Dass man über Verantwortungen spricht: super. The Future has always been black: ein guter Ansatz. The Death of a dance critic: wichtige Überlegung. Diese Weise von Zusammensein sei mit mehr als 500 Leuten nicht möglich: Das war der Ausgangspunkt für eine Menge Unmut gegen die so schnell „geschlossene Gesellschaft“. Beide Seiten haben recht.

Was von diesem Kongress „long lasting“ sein wird und welche Art von Affäre oder Liebe hier im Spiel war, ist die große Frage. Die Kritikerin, solange sie noch lebt, sieht ja nicht alles. Verstanden habe ich diesen Kongress an den beiden Tagen nicht oder kaum. Schon ok. Oder nicht ok. Vielleicht fällt morgen oder nächste Woche oder in drei Jahren der Groschen (von der Million Fördermittel nicht zu reden).
 

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