„We Love Horses“ von Helena Waldmann, Tanz: Anna Süheyla Harms, Réginald Lefebvre

Von Frauen, für Frauen

„Grandes Dames“ von Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart

Saisonende mit Stücken von Helena Waldmann, Virginie Brunelle und Hommagen an Pina Bausch und Louise Lecavalier: Der Abend will darauf aufmerksam machen, dass Choreografinnen noch immer weniger Chancen haben als ihre männlichen Kollegen.

Stuttgart, 24/07/2018

Das sei doch gar nicht schön, das sei doch so hässlich, ruft eine Zuschauerin in den Saal, als sich gerade für einen Moment Stille einstellt in der ansonsten von kräftigen Beats des Komponisten jayrope unterlegten Arbeit von Helena Waldmann mit dem Titel „We Love Horses“. Recht hat die empörte Dame, denn die Berliner Choreografin und Tanzregisseurin hat sich nie um den 'schönen' Tanz gekümmert. Sie bringt in immer neuen Varianten genau das auf die Tanzbühne, was ganz und gar nicht schön ist in der Wirklichkeit.
Diesmal lässt sie die Peitsche knallen. Die Tänzerin Anneleen Dedroog als Domina auf hohen Stelzen wie ein lüsterner Satyr macht drei ihrer Kolleginnen und zwei Kollegen zu regelrecht kadavargehorsamen Zirkustieren wie Pferde in der Manege mit wippenden Federn auf den Köpfen und einem breiten Hintern dieser in die Unnatürlichkeit gepeitschten Wesen im Kostümdesign von Judith Adam. Die Dressur des Alltags, der sich Menschen willig hingeben, weil ja angeblich Ordnung sein müsse, wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder und jede nach ihrer oder seiner Façon bewegte? Nein, wir brauchen sie, die Peitsche des Gesetzes, der Ordnungen, der Unterdrückung der Persönlichkeit, der wir uns wie dressierte Pferde untergeben. Nein, schön ist das nicht anzusehen wenn die dressierten Wesen genau auf den Knall der Peitsche ihre Hintern schwingen, wenn sie sich in genormten, sexuellen Praktiken ganz ohne Poesie und Zärtlichkeit einer ganz und gar nicht tierischen Lust hingeben und sich mit den Häppchen lähmender Zuckerbrot-Ideologien abspeisen lassen. Ja, das ist hässlich. Das tut auch weh, und davon angewidert zu sein, darauf entsetzt zu reagieren, das wäre vielleicht ein erster Schritt in die Freiheit außerhalb der Manegen mit ihren Begrenzungen und Ausgrenzungen, mit denen wir meinen alles, was fremd ist, was uns wild erscheint, bannen zu können.
Helena Waldmanns Beitrag dürfte sicher der härteste gewesen sein beim vierteiligen Abend „Grandes Dames“, mit dem Gauthier Dance am Theaterhaus in Stuttgart seine nunmehr elfte Saison beendet. Der Titel bezieht sich auf die Tatsache, dass es gerade Frauen als Choreografinnen noch immer nicht so leicht haben, genau wie ihre männlichen Kollegen wahrgenommen zu werden. Eric Gauthier hat zwei Choreografinnen dafür gewinnen können, Uraufführungen zu kreieren; die beiden weiteren Stücke stammen von Marco Goecke und – in einer gemeinsamen Arbeit – von Eric Gauthier und dem griechischen Choreografen Andonis Fonidakis, und widmen sich jeweils einer erinnernden Hommage an Pina Bausch und Louise Lecavalier.
Eröffnet wird der Abend mit der ersten Arbeit der kanadischen Choreografin Virginie Brunelle für eine Kompanie in Europa. Ob die junge Choreografin schon zu den großen Damen ihres Faches zählt, lässt sich noch nicht sagen. Dass man auf ihre weitere Entwicklung gespannt sein sollte und dass sie hoffentlich nicht zum letzten Mal für Gauthier Dance gearbeitet hat, möchte man gerne hoffen. „Beating“ heißt ihre Kreation für acht Tänzerinnen und Tänzer, die musikalisch zunächst sehr poetisch zu milden Klavierklängen von Franz Liszt beginnt. Lassen Gemeinsamkeiten, Zuneigung, Partnerschaften, Liebesbeziehungen tatsächlich die Herzen im gleichen Takt schlagen, unabhängig von der erotischen Orientierung, in der Zweisamkeit oder in der Gruppe oder gar in sehnsuchtsvoller Einsamkeit? Solchen Fragen geht die Choreografin mit ihrer feinsinnigen und auch mitunter humorvollen, heiter grundierten, tänzerischen Suche nach den Glücksmomenten des Gleichklanges nach. Dass dabei nicht immer Wunsch und Wirklichkeit einen Einklang bilden, lässt sie nicht aus. Dass es in einer Reihe immer Erste und Letzte geben muss, auch nicht. Auch nicht, dass die Weitergabe rhythmischer Takte der Zuneigung oder des Suchens auch Veränderungen und Verunsicherungen mit sich bringt, macht die bewegten Bilder ihrer tänzerischen Suche interessant. Und so wie die Musik von Henryk Górecki oder Max Richter dann auch ganz andere Klänge einbringen, gibt sie auch dem Tanz Zwischentöne.
Den Choreografen dieses am Ende stürmisch gefeierten Abends bleibt es vorbehalten, sich jenen Choreografinnen und Tänzerinnen zu widmen, die sie entscheidend geprägt haben. Für Marco Goecke, geboren in Wuppertal, ist es Pina Bausch, der er die Grundlage für alle Leidenschaft, die er im Tanz entwickelt hat, verdankt. Im Programmheft erinnert er sich daran, wie er als Heranwachsender, sich nach einem anderen Leben sehnend, merkte, dass sie es war, die alles auszudrücken schien, was er empfand, wonach er suchte, wovon er träumte. So heißt sein Solo für Rosario Guerra zu Songs von Anthony and the Johnsons auch „Infant Spirit“. Wie es dieser Tänzer vermag die erinnernden und inspirierenden Träume des Choreografen – zunächst in tastender Knabenhaftigkeit, dann im korrespondierenden Widerstand zu den eigenen körperlichen Möglichkeiten und dem nicht versiegenden Eifer – doch immer noch eine weitere Grenze scheinbarer Gegebenheiten körperlicher Ausdruckskraft zu durchbrechen, das ist einfach grandios. Nein, hier wird nichts kopiert, hier wird nichts nachgemacht, aber sicher vieles nachempfunden, nicht ganz ohne Wehmut, denn die Melancholie der Klänge jener Songs ist ja nicht überhörbar. Und wenn sich Rosario Guerra am Ende dieses Solos eine Nelke ans Revers steckt, dann kann man es wieder sehen, in der Erinnerung, dieses wogende Feld, in Pina Bauschs Choreografie „Nelken“. Die Tore der Erinnerungen stehen weit offen, sie mischen sich mit denen des Choreografen, mit der Art, wie der Tänzer sie zu so bewegten wie bewegenden Momenten des Lebens erweckt in der Vergänglichkeit des Tanzes, welche in Wahrheit aber wohl doch eine nie endende Kraft der Veränderung ist.
Auch Eric Gauthier nimmt eine beflügelnde Erinnerung an die Jugend in Toronto zum Anlass für seine Hommage an eine Ikone des Tanzes. Noch heute, so sagt er, beflügle ihn die explosive Energie der ehemaligen Fronttänzerin der kanadischen Kult-Company La La La Human Steps, Louise Lecavalier, die er als Ballettschüler in seiner kanadischen Heimat kennenlernte. „Electric Life“, eine Kreation in zwei Teilen, ist ganz klar eine Hommage an Louise Lecavalier, auch mit der von ihr so geliebten Musik von David Bowie. Ja, Gauthier lässt nun seine Solistin zunächst in einem dem Titel gemäßen Kreis von Leuchtstoffröhren, die auch etwas Gespenstisches andeuten mögen, ihre tanzakrobatischen Kraftakte vollführen. Mag sein, seine Art, Erinnerungen in tänzerische Gegenwart zu überführen, bewegen sich nahe am Zitat, verfallen aber dann doch nicht der Gefahr, einer dem Leben eher abgewandten puren Rekonstruktion. Dafür stehen auch die Wahnsinnsenergie der Tänzerin Garazi Perez Oloriz und des Tänzers Maurus Gauthier mit den sich drehenden Sprungvarianten, athletischen Hebefiguren, nahezu kämpferischem Gegeneinander und knappen Momenten des Miteinanders, was alles wirkt, als sei auch dies eine Motivation des Tanzes, sich gegenseitig an- und aufzustacheln.
Der zweite Teil des Stückes, jetzt von Andonis Fonidakis, der erneut mit Gauthier Dance zusammenarbeitet, übernimmt den Furor des Duetts im ersten Teil und überträgt ihn auf die Gruppe. Dabei wird auch der Lichtkreis aufgelöst, die Elektrik des Tanzes und die des Lichtes ergeben immer wieder neue Sichtweisen raumgreifender Energien. Das hat schon Momente des Wahnsinns im Spiel mit Licht und Dunkelheit, mit aufpeitschenden Klanggrundierungen, mit einer Art der Grenzüberschreitung dessen, was explosiver Tanz möglich macht. Es funktioniert, wie geschaffen für die explosiven Tänzerinnen und Tänzer dieser Kompanie.

 

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