„Petite Messe solennelle“ von Martin Schläpfer. Tanz: Ensemble.

„Petite Messe solennelle“ von Martin Schläpfer. Tanz: Ensemble.

Sakral contra sizilianisch

b.32 mit Martin Schläpfers Rossini-Uraufführung „Petite Messe solennelle“ in Düsseldorf

Dem zauberhaft ätherischen Flair von Gioacchino Rossinis kleiner festlicher Messe stellt Martin Schläpfer ein lebhaftes sizilianisches Genrebild gegenüber.

Düsseldorf, 04/06/2017

Zur Premiere vom Programm „b.32“ des Ballett am Rhein waren auch Scharen von Musikfreunden ins Düsseldorfer Opernhaus geströmt. Denn die Uraufführung von Martin Schläpfers abendfüllender Choreografie „Petite Messe solennelle“ („Kleine festliche Messe“) versprach die Begegnung mit einer Rarität der Musikgeschichte, der Originalfassung von Rossinis ‚anderer‘, weniger bekannter sakraler Komposition als dessen „Stabat Mater“. Von dem alternden ‚König‘ der komischen Oper des 19. Jahrhunderts als Auftragswerk zur Weihe einer privaten Kapelle in Paris 1864 komponiert, ist vor allem die Besetzung ungewöhnlich. Eindeutig den äußeren Umständen des ersten Aufführungsortes geschuldet (und deshalb wohl auch später von einer Orchesterfassung ersetzt), erwies sie sich bei der Düsseldorfer Aufführung als ein Juwel.

Filigran klingen die Einleitungen für zwei Klaviere (Wolfgang Wiechert und Dagmar Thelen), gelegentlich abgelöst von einem Harmonium (Patrick Francis Chestnut), das man ja bis weit ins 20. Jahrhundert für die Aufführung von Kirchenmusik in Kapellen und im privaten Bereich als Orgelalternative verwendete. Die den Gebetstexten entsprechende Intimität unterstrich Rossini durch einen Kammerchor aus jeweils vier Frauen, Männern und Kastraten (oder Knaben). Der Leiter des Düsseldorfer Opernchors, Gerhard Michalski, hat sich um dieses schlanke, frische Klangbild bemüht. ‚Glücklicherweise‘ passt in den Orchestergraben, wo alle Musiker unter der Leitung von GMD Axel Kober musizierten, ja auch nur eine kleine Schar von Choristen neben die massiven Tasteninstrumente und vier Solisten (die leider mit reichlich opernhaftem Schmelz und Pathos sangen).

Dem zauberhaft ätherischen Flair der sakralen Musik, die zu Beginn des zweiten, kürzeren Teils der Aufführung durch zwei Klavierminiaturen Rossinis ergänzt wird (perlend vorgetragen von Eduardo Boechat), stellt Schläpfer ein lebhaftes sizilianisches Genrebild gegenüber, das nicht nur von fern an die Atmosphäre von Pietro Mascagnis Oper „Cavalleria rusticana“ erinnert. Florian Etti hat ihm eine grandiose, asymmetrische Gewölbe- oder Arkadenkulisse um die Tanzfläche entworfen (ein Dorf-Marktplatz, eine Krypta?) und das große Ensemble in eine Vielzahl trister Alltagsklamotten von grau bis schwarz, von der kindlichen Latzhose bis zum Schürzenkleid einer alten Bäuerin gesteckt. Einzige Requisiten sind ein paar schlichte, helle Holzstühle, wie man sie in modernen Kirchen findet. Die werden gestapelt und auch mal durch den Raum geschleift. Gereiht erinnern sie an Pina Bausch-Stücke. Nur machen Marlúcia do Amarals akrobatische Hangeleien wenig Sinn. Kleine Sequenzen der typisch eckigen Armbewegungen dagegen zitieren den Bausch Tanzstil zu einer Stakkatopassage gegen Ende der Messe durchaus effektvoll.

Ein recht steifer Pfarrer mischt sich immer wieder unters Volk - da fehlte der Charakterkopf von Jörg Weinöhl! Eine alte Frau beobachtet mit stoischer Ruhe das Treiben von Arbeitsalltag und Feierabend - Yuko Cato hätte ihr ein starkes Profil verliehen, tanzte aber eher unauffällig mit Eric White und anderen Paaren in „Qui tollis peccata mundi“. Eine junge Frau (Mariana Diaz) findet im „Kyrie“ im Rosenkranzgebet keinen Seelenfrieden. Paare flirten und streiten sich. Mädels kokettieren. Jungen protzen. Das ganze 45-köpfige Ensemble drängt sich immer wieder zusammen in Formationen, an die man sich aus dem „Forellenquintett“ erinnert. Manchmal stampfen sie laut mit den Füßen, rennen und springen betont derb herum auf Hacke und Spitze.

Die liturgischen Texte zur Musik scheint Schläpfer völlig außen vor zu lassen. Nur die kompositorische Struktur - insbesondere Fugen und Kanons - nimmt er auf. Sein Ideenreichtum in der Erfindung neuer Bewegungen ist noch immer unerschöpft, obwohl: Immer wieder die gleichen klassischen Posen auf Spitze wirken ermüdend, und mancher bewusste Kontrast kommt arg gewollt über. Insgesamt wirkt diese neue Choreografie des Schweizers zu erdrückend, überladen und dominant gegenüber der berückenden Feinheit der Musik. Zu wenig stellt er sich, so der Eindruck nach nur einmaliger Besichtigung, auch dem Thema der Komposition. Wie anders wäre seine Choreografie (vielleicht) in Mainz mit seiner kleinen Truppe großer Charaktere geworden...

Dass der Schlussjubel für die Musiker bei der Premiere deutlicher ausfiel als für die Tanzenden verwunderte wenig.

Die Produktion ist auch bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen am 21. Juni 2017 | 20.00 Uhr im Forum am Schlosspark, Ludwigsburg zu sehen.

 

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