„Objekt“ von Garry Stewart. Tanz: Cornelius Mickel, Giulia Torri, Finn Lakeberg und Ensemble

„Objekt“ von Garry Stewart. Tanz: Cornelius Mickel, Giulia Torri, Finn Lakeberg und Ensemble

Außen – innen - außen

Garry Stewart macht die Mainzer Tänzer konsequent zum „Objekt“

Seit der vorigen Spielzeit wird dem zuvor neoklassisch umworbenen Publikum in der Domstadt konsequent zeitgenössischer Tanz verordnet – bislang scheint das Konzept aufzugehen.

Mainz, 07/06/2016

Programmhefttexte mit hohem theoretischem Anspruch künden oft von der meist berechtigten Angst, dass die Praxis alle Vorüberlegungen doch nicht so rüberbringen, genauer gesagt über die Bühne in die Zuschauerköpfe transportieren, könnte. Garry Stewart, der künstlerische Leiter des Australian Dance Theatre, hat über sein erstes Stück für eine deutsche Bühne („Objekt“ am Mainzer Staatstheater) einen anspruchsvollen Text geschrieben. Und er hat erstaunlicherweise all diese Überlegungen tatsächlich 65 Minuten lang beeindruckend umgesetzt.

Auf der Bühne steht ein befremdlicher Würfel; aus ihm heraus quillen uniforme Wesen, denen durch Ganzkörperverkleidung jede äußere Individualität genommen ist. Strikt begrenzte, roboterhafte Bewegungen künden vom Zwang der Uniformität. Das grafische Muster auf ihrer Kleidung entspricht haargenau der Innenverkleidung des Würfels – augenfälliger kann erzwungene Anpassung nicht sein. Wo sind in dieser Kunstwelt, in der äußere Form alles andere unterdrückt, die lebendigen Menschen geblieben? Kurz öffnet sich ein Fenster, zeigt Gestalten in hautfarbenen Dessous. Aber die Aussicht bleibt stumme Verheißung. Denn es kommen nicht etwa individuelle Menschen auf die Bühne, sondern die mutig inhomogen zusammengewürfelte Mainzer Tänzerriege tritt in Unisex-Lederminis und Kniestrümpfen auf bewegt große rechtwinklige Objekte, aus denen sich unterschiedliche Bühnenlandschaften bauen lassen. Aber auch in der Interaktion mit den physikalischen Körpern werden die Tänzer selbst wieder zu Objekten, nehmen gar einzeln oder in Gruppen die äußere Form der Riesenspielzeuge auf. Viel Spannendes wird durchgespielt: Ein formalisiertes, emotionsloses und gerade deswegen erschreckendes Kämpfen oder das Bild eines anonymen Wesens als Objekt fremder Begierde, die in Gestalt von vielen fordernden Händen durch Öffnungen in der Wand dringen.

Einen großen Anteil an der faszinierenden optischen Kunstwelt haben das Lichtdesign (Avi Yuno Bueno, der vor Ort schon mit Sharon Eyal gearbeitet hat) und der surrealistische Sound des australischen Komponisten Brendan Woithe. Bueno, der das optische Illusionshandwerk bei Rockkonzerten gelernt hat, greift tief in die Trickkiste der Projektionen und malt zum Beispiel goldene Lichtmuster auf die Tänzerkörper, die sich so in kostbare Museumsobjekte verwandeln.

Am Ende kommen doch noch Gefühle ins Spiel: Beim Todesfall, wo die Bühne zum Monumentalgrab umgebaut wird und die Tänzer sich in religiösen Ritualen zusammenfinden. Nur ab und an wird ein Fenster aufgestoßen zu einer ganz anderen Welt: einem grün wuchernden Urwald als Sinnbild einer Natur, die sich nicht als Objekt vereinnahmen lässt.

Der Leiter von tanzmainz, Honne Dohrmann, verordnet dem zuvor neoklassisch umworbenen Publikum in der Domstadt seit der vorigen Spielzeit konsequent zeitgenössischen Tanz – bislang scheint das Konzept aufzugehen.
 

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