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Der Tanzkongress 2022 in Mainz bringt die nationale und internationale Tanzszene wieder zusammen

Internationale Module und Veranstaltungen an vier Tagen sowie ein hohes Interesse an digitalen Entwicklungen beim alle drei Jahre stattfindenden Tanzkongress. Und viel Tanz zu sehen, gab es auch.

Mainz, 21/06/2022

„Ey Du bist doch auch auf dem Tanzkongress.“ Es ist nachts um halb zwei und ich schlendere durch die einigermaßen verwaisten Mainzer Straßen in Richtung Bahnhof zum Hotel. Die junge Frau, die mich auf dem Fahrrad überholt und so spontan fragt, kommt aus Berlin und organisiert dort Tanzevents. Wir stellen uns vor, laufen ein Stück gemeinsamen Weg. „Ich finde, das ist ja das schönste an solchen Veranstaltungen, dass man einfach jede Menge Leute kennenlernt und einfach so ins Gespräch kommt.“ Nach kurzem Plausch verabschieden wir uns in die laue Sommernacht. Und ja, im Grunde ist dieses kurze, im Grunde unspektakuläre, aber gleichzeitig freundliche und offene Nachtgespräch genau der Spirit, der den Tanzkongress 2022 auszeichnete. Der Titel „Sharing Potentials“ wurde von allen Teilnehmenden nicht allzu hoch gehängt – Klassentreffen statt Hochamt – und das sorgte für ein sehr angenehmes Miteinander, gerade nach den schwierigen Zeiten der erzwungenen Isolation in den letzten Jahren.  

Kongress oder Festival? Die Grenzen waren fließend. Die Kulturstiftung des Bundes als Veranstalter hatte den Tanzkongress ganz bewusst in die Hände des dortigen Staatstheaters und seiner tanzcompany Tanzmainz gegeben und die schufen einen vibrierenden Raum für rund 950 Teilnehmende, die das Theaterhaus in einen flirrenden Bienenstock verwandelten. Alle waren gekommen, um nach den pandemischen Zwangspausen endlich wieder miteinander agieren zu können: Bei Diskussionen, beim Training, in Workshops, beim Abhängen, beim Tanzen und beim Tanz schauen. Inhaltlich neu war der verstärkte Fokus auf digitales Arbeiten und Präsentieren, das durch die Pandemie noch einmal einen Schub bekommen hat und zu dem es eine ganze Reihe von ganz unterschiedlichen Veranstaltungen gab. Bei den kulturpolitischen Fragen ist dabei nicht viel Neues zu vermelden, hier lohnte sich allenfalls der Blick über die Republikgrenzen, für den deutschen Diskurs ist allenfalls eine weit verbreitete Müdigkeit feststellbar, aber kein Projekt. Die zeigte bereits die eröffnende Diskussion des Fachverbands Tanz, die auf innovative erhellende Perspektiven gleich ganz verzichtete. Viel Platz bekamen auf dem Kongress die Tänzer*innen selbst, die als Expert*innen ihre eigenen Forum gestalten konnten und auch in der Video-Archiv-Installation „Time Capsule“, die Stimmen von Tanzenden nach Corona dokumentiert (und die hoffentlich bald auch online verfügbar sein wird). Doch all dieses Inhaltliche war fast schon nebensächlich neben den kleinen Momenten und Gesprächen zwischen den Veranstaltungen auf dem wunderbar hergerichteten Tritonplatz zwischen dem alten und dem neuen Theatergebäude, den Lucia Vonrhein in ein Pausenparadies verwandelt hatte.

Nicht nebensächlich war natürlich der Tanz mit Beiträgen aus Norwegen, Deutschland, Mexiko, Thailand, Kamerun, Indonesien, Südafrika, den Niederlanden und vielen anderen Ländern. Eine Auswahl: Die Besucher*innen konnten munter wechseln zwischen der Thai-buddistischen Tempeltänzerin Gade aka Kornkarn Rungsawang, die mit VR-Headset ein „Dance Offering darbringt, ein kraftraubendes Solo mit Leiter aus Kamerun („Energy“ von Agathe Djokam Tamo) oder Annäherungen ans brasilianische Straßentheater mit Volmir Cordeiro. Besonders die Arbeit der Kurator:innen-Duos Gwen Hsin-Yi Chang und How Ngean Lim, sowie Maria José Cinfuentes und Eleno Guzmán Guitérrez ist hier hervorzuheben, die den Kongress über den europäischen Blick hinaus erweitert haben und sehr unerwartete Perspektiven einbrachten. Wann konnte man sich in Mainz schon einmal fühlen wie in einer halbseidenen Bar in Jakarta mit lauter Dangdu-Musik als Soloprojekt von Ayu Permata Sari? Ein Highlight war dabei „Requiém para un alcaraván“. Der Tänzer Lukas Avendaño verwandelt den Theaterraum in einen mexikanischen Festsaal, der neben überspringender Freude auch eine große Portion Melancholie und Traurigkeit bereithält, zwischen denen Avendaño als Solist mühelos wechseln kann. Er gibt dabei eine Muxe, eine „Mann-Frau“ aus der vor-hispanistischen Kultur der Zapoteken. Bis heute werden diese Traditionen in der Region Oaxaca gelebt. Und auch die großen Namen gaben sich ihr Stelldichein: tanzmainz eröffnete mit Rafaële Giovanolas „Sphynx“ und zeigte Sharon Eyals „Promise“ und Club Guy & Roni präsentierte zusammen mit Slagwerk Den Haag „Freedom“, die bild- und tongewaltige Geschichte des Guantamo-Häftlings Mohamedou Ould Slahi, der mittlerweile Teil der Comnpany ist, aber nicht nach Deutschland einreisen durfte. Nur als Work in Progress zeigte Carté Blanche aus Norwegen zwei ihrer drei Teile von „But then we’ll disappear (I’d prefer not to)“ von Frédérick Gravel, weil hier aufgrund einer Erkrankung der Techniker eine Komplettaufführung nicht möglich war.

Unmöglich war es natürlich, alles zu sehen, auch weil in der Konferenzplanung mitunter keine Pausen vorgesehen waren. Aber alle Besucher*innen dürften ihr Programm gefunden haben. Die Zukunft des Tanzkongress ist derweil unklar. Noch wurde kein neuer Ort und Termin verkündet und da Hortensia Völckers die Spitze der Kulturstiftung des Bundes verlässt, ist nicht sicher, wie und ob dieses Projekt weitergeführt wird. Der Erfolg der diesjährigen Ausgabe hat da aber eine klare Präferenz der Tanzszene geliefert: ein klares Unbedingt für große und kleine Begegnungen. Auch nachts um halb zwei.

 

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