„Vollmond“ von Pina Bausch

„Vollmond“ von Pina Bausch

Vollmond mit Patina

Das Tanztheater Wuppertal zu Gast bei den Maifestspielen Wiesbaden

Es ist eines der letzten Stücke der 2009 verstorbenen Pina Bausch. Sie ist ihrem Grundthema treu geblieben: Was bewegt die Menschen? Wie wurden sie, was sie sind? Und wie gewohnt stehen die Geschlechterrollen im Fokus, sei es ironisch-witzig oder aus einer inneren Verzweiflung heraus.

Wiesbaden, 01/06/2014

Das haben die Organisatoren der Wiesbadener Maifestspiele klug eingefädelt. Drei Gastchoreografien haben sie eingeladen, alle unter dem Zeichen des TanzErbes. Stand am Anfang das staubtrockene Stück „Songs of the Wanderer“ (Cloud Gate Dance Theater, Taiwan) mit dem phänomenalen Reisregen, so endete die Auswahl an diesem Wochenende mit drei ausverkauften Aufführungen von „Vollmond“ (Tanztheater Wuppertal), dem Stück von Pina Bausch, in dem sie ihre mehrfach umgesetzten Wasserszenarien zu einer regelrechten Wasserorgie mit Flusslauf und rauschender Regenwand ausbaute. Erstaunlich, was eine Bühne so aushält. Und die 12 Tänzer und Tänzerinnen sowieso. Sie verausgaben sich bis zum letzten, erschöpft stehen sie nach gut zwei Stunden am Bühnenrand, das Lächeln kehrt erst allmählich auf ihre Gesichter zurück beim nicht enden wollenden Schlussapplaus.

Wovon auch immer Pina Bausch 2006 inspiriert war, es muss in südlichen Ländern passiert sein, bei Monsunregen etwa, an einem Felsenstrand. Party feiern ist angesagt. Die Frauen staksen in High Heels und mit Weinglas in der Hand herum, kokettieren in den Bausch-typischen knöchellangen Kleidern, die nur durch dünne Bänder (oder Stretch) gehalten werden und bei jeder ausfahrenden Armbewegung herunterzurutschen drohen. Die heftigen, emotionalen Tänze absolvieren sie natürlich auf flachen Füßen. Die Situation auf der offenbar zu schmalen Bühne im historischen Wiesbadener Theater erscheint prekär genug: X-mal müssen die Tänzer über die seitlichen Stege von der Bühne an den unteren Logen vorbei und aus dem Zuschauerraum rausrennen. Und wieder zurück. Und das gegen Ende in pitschnasser Kleidung.

Es ist eines der letzten Stücke der 2009 verstorbenen Pina Bausch. Sie ist ihrem Grundthema treu geblieben: Was bewegt die Menschen? Wie wurden sie, was sie sind? Und wie gewohnt stehen die Geschlechterrollen im Fokus, sei es ironisch-witzig oder aus einer inneren Verzweiflung heraus. Das Gefühlskaleidoskop schwappt hin und her. Im Vergleich zu früheren Stücken scheinen die Frauen jedoch an innerer Kraft und Selbstbewusstsein zugelegt zu haben, sie kommandieren die Männer gern mal herum oder lassen sie zappeln. Weiterhin müssen einige der Beteiligten vor sich selbst geschützt werden, indem man helfend eingreift, bei den Schlafwandlern und Suizidgefährdeten etwa. Und die Männer dürfen Gefühle zeigen, in teils heftiger Körperlichkeit. Das ist ein Rennen, Springen und Werfen ohne Ende. Oder ohne Ausweg?

Was Anfang der 1970er als Tanzrevolution auf deutschen Bühnen begann, setzt doch allmählich Patina an. Bauschs Prinzip der Montage etwa scheint beliebig fortsetzbar. Warum immer noch ein Solo und warum das Ende gerade dann? Bei jungen Choreografen würde man wohl empfehlen, zu straffen. Bei einem TanzErbe-Stück ist das natürlich obsolet. Aber ob wirklich alle Bausch-Stücke zum Erbe erklärt werden müssen? Darüber wird wohl noch einige Zeit vergehen müssen.

In Wiesbaden tanzten überaus beeindruckend bei den Männern: Pablo Aran Gimeno, Rainer Behr, Jorge Puerta Armenta, Michael Strecker, Fernando Suels Mendoza und der Senior Dominique Mercy, bei den Frauen: Ditta Miranda Jasjfi, Nayoung Kim, Azusa Seyama, Tsai-chin Yu und die langjährigen Bausch-Tänzerinnen Julie Anne Stanzak und Nazareth Panadero (mit ihrer unglaublich tiefen Stimme).
 

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