Es ist das Sterben, nicht die Liebe

John Crankos „Romeo und Julia“ erstmals in Berlin beim Staatsballett

Berlin, 14/02/2012

Es ist fast fünfzig Jahre her. Oktober 1965. Da mussten wir hin, nach Dresden, ins große Haus, denn für das Stuttgarter Ballett hatte sich der eiserne Vorhang geöffnet. Von John Cranko hatte man auch in der DDR gehört, von seiner Choreografie „Romeo und Julia“ auch. Einige Bilder waren schon in den Köpfen, die berühmte Balkonszene, wenn Romeo mit seinem kühnen Klimmzug zu Julia hinauf zu schweben scheint und dieser eine Kuss einen Moment währt, zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod. Dann das Erwachen nach der Liebesnacht, dazu die unheilvollen Klänge einer der bislang so gut wie unerreichten Ballettpartitur von Serge Prokofieff. Ich habe bislang keinen berührenderen Abschied in einem Pas de deux gesehen, Julia umklammert Romeos Hals, er breitet die Arme aus, als wollte er fliegen, fliehen, er wendet sein Gesicht ab und Julia, in ihrem Schwebezustand weigert sich die Füße auf die Erde zu setzen, bei der leisesten Berührung knicken sie weg. Wenn etwas später Pater Lorenzo sie über die Bühne trägt, nimmt sie schon die Gestalt eines Engels an.

Weil wir nicht genug bekommen konnten von diesen Szenen, gingen wir ins Kino. Irgendwelche Filme, die uns nicht interessierten, wir wollten ja nur die wenigen Minuten in schwarz-weiß im Vorfilm sehen, der DEFA-Augenzeuge berichtete vom Gastspiel der Stuttgarter in Dresden und in Leipzig.

Es gab später für mich erst gar keine, dann nur wenige Gelegenheiten „Romeo und Julia“ in der Choreografie von John Cranko zu sehen. Also fuhr ich jetzt zur ersten Berliner Einstudierung durch das Staatsballett in die Deutsche Oper. Und dann war alles wieder da. Mit Iana Salenko als Julia und Marian Walter als Romeo vermittelt sich die ganze Wucht dieser Tragödie einer Jugend, die an den Alten stirbt, die sie immer überleben werden. Iana Salenko und Marian Walter sind bei glänzender Technik alles andere als Paradetänzer. Beide durchlaufen in den knapp drei Stunden dieser Choreografie eine rasante Entwicklung, aus dem niemals auch nur irgendwie naiv erscheinenden Mädchen wird zu rasch eine junge Erwachsene, aus dem jungenhaften Romeo wird viel zu schnell ein unschuldig Schuldiger, dessen Tod am Ende vielleicht doch nicht der so gern zitierte tragische Irrtum ist. Eigentlich ist kein Platz für Romeo und Julia, selbst in den eigenen Familien, mögen diese unnahbar unter goldenen Verhüllungen aufziehen oder in martialischem Schwarz ihre ritualisierten Feste abschreiten. Sie sind kaum da, wo sie nach familiärem Ermessen hingehören. Cranko findet dafür eindrückliche Bilder, etwa wenn Julia mit dem für sie bestimmten Paris tanzt und, ob er da ist oder nicht, doch nur Romeo sieht. Um der Glaubwürdigkeit solcher knappen Szenen willen braucht man Tänzerinnen und Tänzer, die solche Vorgaben zu seelisch grundierten Vorgängen werden lassen können. Die hat man in Berlin. Michael Banzhaf ist Paris und tanzt diesen Mann auf verlorenem Posten als wäre die Haut, in der er steckt, zu eng geworden und wird dafür zu recht gefeiert.

In „Romeo und Julia“ zeigt sich Cranko als Meister der intimen Szenen. Den Pas de deux hat er von allen Demonstrationsallüren befreit, genial sind die knappen Soli, hier besonders jene, die er den Sterbenden abverlangt. In faszinierender Korrespondenz mit der Musik die Todesszenen des Mercutio aus Romeos Freundeskreis und des Tybalt, dem Neffen der Mutter Julias. Dinu Tamazlacaru ist als Mercutio der Spaßvogel in der Boygroup mit Romeo und Alexander Shpak als Benvolio. Seine Versuche dem Tod mit einem Spaß die lange Nase zu zeigen dürften inzwischen zu den besonderen Momenten der Ballettgeschichte gehören, ebenso wie Tybalts aufbegehrender Widerstand in beeindruckenden Bewegungen am Boden.

Allein um solcher Szenen willen ist es gut und überfällig, dass Shakespeares Drama in Crankos konsequenter Deutung, die bewusst am Ende auf die Geste der Versöhnung zwischen den verfeindeten Familie Capulet und Montague verzichtet, durch das Staatsballett endlich in Berlin zu erleben ist. Eigens für diese Erstaufführung hat Thomas Mika eine neue Ausstattung geschaffen. Bei den Kostümen gelingt ihm trotz historischer Zitate vorwiegend erfrischende Zeitlosigkeit, jedenfalls wird die individuelle Präsenz der Protagonisten nicht durch unnötiges, dekoratives Beiwerk behindert. In Mikas Räumen, auf seinen Plätzen in Verona, herrscht vorwiegend Dunkelheit, lediglich durch das filigrane Netzwerk mancher Mauern dringt fernes Licht.

Im Lichte so vieler gelungener Passagen dieses Ballettabends lässt sich gut damit leben, dass doch manche Szenen der Gruppen, etwa Crankos Vorstellungen von vertanzter, jugendlicher Lebensfreude, nicht mehr ganz staubfrei sind, während die Faszination der Kampfszenen ungebrochen ist, und den furios fechtenden Herren der Kompanie höchste Anerkennung gebührt. Das Glück wäre fast vollkommen, kämen noch vom Orchester der Deutschen Oper unter der Leitung von Guillermo García Calvo differenziertere Klänge.

 

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