„Nussknacker“: Ensemble

„Nussknacker“: Ensemble

Tanzgenuss mit Zuckerguss

Der neue „Nussknacker“ vom Semperoper Ballett in Dresden

Dresden, 29/11/2011

Manche mögen's heiß und manche mögen's süß. Wie süß das doch sei, hört man immer mal, geraunt und geflüstert während der Vorstellung, emphatisch, erfreut, von erwachsenen Menschen mit kindlich feuchten Augen, in der Pause. Solche Wahrnehmungen geben keinerlei Grund zu spotten, sich gar zu erheben, vorschnell von Kitsch zu sprechen oder den offensichtlich emotional durchgeschüttelten Menschen ihren Kunstsinn madig zu machen.

Das Semperoper Ballett hat eine neue Einstudierung des Balletts „Der Nussknacker“ von Peter I. Tschaikowsky herausgebracht, alle folgenden zehn Vorstellungen bis Ende des Jahres sind ausverkauft, der Premierenjubel, so wird berichtet, war euphorisch. Dennoch, warum sollte nicht an den Abendkassen eine gute Fee sitzen. Zur zweiten Aufführung, an einem Montagabend, ist die Oper ausverkauft, der allergrößte Teil des Publikums hat sich in Schale geworfen und auffällig ist, dass da besonders die vielen Jüngeren zu Hause etwas länger vor den Spiegeln gestanden haben dürften.

Für die Choreografien nach Marius Petipa zeichnen Ballettdirektor Aaron S. Watkin und Jason Beechey, Rektor der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden, verantwortlich. So ist es möglich, dass Schüler und Studierende der Hochschule mit ihren „großen“ Kolleginnen und Kollegen gemeinsam diesen so bewegten wie bewegenden Abend gestalten und die künstlerische Zusammenarbeit der beiden „Chefs“ offensichtlich so gut abgestimmt ist, dass die fließenden Übergänge und das Miteinander der Kompanie und der Studierenden fabelhaft gelingen. Beechey, für die Choreografien des Nachwuchses verantwortlich, vermeidet glücklicherweise so gut wie alle albernen Kindereien, setzt schon bei den Allerjüngsten auf Präsenz und Persönlichkeit und kann etwa in den Szenen der Geschwister mit Marie als Kind, Zuckerfee und Gemahl sowie Nussknacker und Mausekönig als mechanische Puppen, beachtliche Talentproben präsentieren.

Watkin in konstruktiver Petipa-Tradition macht es möglich, dass etwa im Winter-Zauberwald die klassische, exakte Noblesse der Eiszapfen und Schneeflocken mit Sangeun Lee als Königin alles andere als erstarrt oder frostig wirken. Das mag auch vom zart gestalteten erwachenden Liebestraum der jungen Marie und ihres vom Nussknacker zum Prinzen verwandelten Traummannes erwärmt sein. Chantelle Kerr und Jón Vallejo tanzen das jugendliche Traumpaar, ihres Könnens sicher können sie ganz unaufdringlich die Sympathien des Publikums gewinnen.

Vallejo legt zudem noch als Nussknacker mit Maximilian Genov als Mausekönig, flankiert von großen und kleinen hölzernen Kriegern und springlebedigen Mäusen, eine amüsante Kampftraumszene hin. Logisch, dass in einer solchen Interpretation die Divertissements nicht fehlen, genannt seien in hoffentlich zu verzeihender Stellvertretung Claudio Cangialosi als lustiger Chinese der sich klein macht und dabei großartig tanzt oder die Mutter Gigogne der Elevin Emanuele Corsini mit ihrem mächtigen Reifrock unter dem ihre acht putzmunteren Policichinelles aus den Kindertanzklassen es nicht erwarten können hervor zu stürmen und ihre Tanzspäße zu präsentieren. Was ist dagegen eine Lady Gaga.

Natürlich, Grand pas de deux, die exakte und doch sehr persönliche Natalia Sologub als Zuckerfee mit Denis Vegeny als Gemahl, sicher sein Halt, attraktiv seine solistischen Alleingänge. Den Spielmeister dieser Zaubergeschichte, in der Traum und Wirklichkeit verschmelzen, Erwachsene zu Kindern werden und Kinder schon ganz schön groß sein können, gibt Raphael Coumes-Marquet als charmanten Hagestolz und am Ende einsamen Zauberer.

Roberta Guidi die Bagno hat diesen Abend ausgestattet und ihre Bilder führen vom Dresdner Weihnachtsmarkt vor dem Kronentor des Zwingers unter einem Schwibbogen ins Weihnachtszimmer der Familie Stahlbaum, vom Winter-Zauberwald ins Land der Süßigkeiten, zurück unter den Weihnachtsbaum. Das alles ist letztlich doch ganz schön absurd in seiner Beschwörung einer Märchenwelt, die so unwirklich ist, dass man sich hinterher schon die Augen reiben und sich fragen mag, warum sich so viele aufgeklärte Menschen nach Zuckerfeen, schwerelosen Prinzen und Prinzessinnen und einer Kindheit, die es so gar nicht gibt, sehnen.

Die Dresdner Nussknacker-Optik aber ist nur ein Teil dieses besonderen Abends in der Semperoper, der Klang gehört dazu. Tschaikowskys Musik, gespielt von der Sächsischen Staatskapelle unter der Leitung von Vello Pähn, macht auch Klangträume wahr. Hier wird beherzt und munter musiziert, keine bloße Begleitfunktion. Einsamkeit, Sehnsucht und Ausflucht in exotische Traumtänze werden vernehmbar, manchmal geht es forsch zu, das Tempo wird angezogen und das führt dann bestenfalls dazu, dass man sich fragen mag beim übermütigen Tanz von Fabien Voranger, Johannes Schmidt und Michael Tucker im russischen Divertissement, ob Geschwindigkeit nicht doch ein bisschen Hexerei sei.

Kommentare

Noch keine Beiträge