Der Zauberspiegel der Abstraktion

William Forsythes Spiegel-Spiel „City of Abstracts“ auf Kampnagel

Hamburg, 27/05/2010

Mitten im Fabrikhallen-Foyer auf Kampnagel hängt seit Beginn des „Live Art“-Festivals am 13. Mai ein großer grauer Kasten mit einem riesigen Bildschirm von der Hallendecke. Magisch angezogen bleibt jeder Besucher fasziniert davor stehen, um binnen kurzem verblüfft zu konstatieren: da bin ja ich! Nur nicht so, wie jeder sich zu sehen erwartet, sondern eigenartig verzerrt, gedehnt, gestreckt, verschoben, verflüssigt – als könnte sich der Körper in ein Nichts auflösen. Der Kopf schwebt meist voraus, der Leib hinterher – das hat etwas überaus Tänzerisches, Schwebendes, Filigranes.

Kein Wunder: Erfunden hat diese Installation mit dem Namen „City of Abstracts“ kein Geringerer als William Forsythe. Erstmals gezeigt wurde sie schon vor 10 Jahren in Frankfurt, damals an verschiedenen Brennpunkten der Main-Metropole: an der Hauptwache, mitten auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Opernhaus, aus dem der Choreograf gerade erst verbannt worden war, sowie an dessen neuen Spielstätte: dem Bockenheimer Depot. Indem er selbst den Tanz als solches abschaffte, drehte Forsythe den tanzunverständigen Stadtvorderen, die ihm und seiner Kompanie übel mitgespielt hatten, eine bitterböse lange Nase. Forsythe, Meister der Abstraktion, braucht hier keine Bühne mehr und auch keine professionellen Tänzer, denn jeder Ort, an dem die Kamera installiert wird, gerät zur Bühne, und jeder, den die Kamera erfasst, wird zum Tänzer.

In Hamburg auf Kampnagel funktioniert das Projekt (Software-Entwicklung: Philip Bußmann) nicht ganz so gut wie damals mitten in der Stadt: zu eintönig ist die Umgebung, zu beschränkt die Anzahl der Flaneure, zu wenige Kinder und Kind gebliebene Erwachsene entdecken die ungeahnten Möglichkeiten dieses Zauberspiegels. Aber es gelingt dann doch, das sich gern obercool gebenden Kampnagel-Publikum zum Lächeln zu bringen und einen Hauch von Poesie und Fantasie durch die düsteren Maschinenhallen wehen zu lassen.

„City of Abstracts“, noch bis 30. Mai im Kampnagel-Foyer, 18-22 Uhr, Eintritt frei.

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