„La Mort i la primavera“ von Marcos Morau / La Veronal

Die Festivalstadt

Die Biennale Danza in Venedig glänzt mit innovativen Uraufführungen und Gastspielen

Ein Einblick mit Abstand: Wayne McGregor gelingt als künstlerischem Leiter in seinem vierten Jahr ein hochkarätiges Programm mit den Stars der Szene. Und das Publikum feiert nicht nur die Premiere „La Mort i la Primavera“ von Marcos Morau im Teatro Malibran.

Venedig, 24/08/2025

Venedig ist als Festivalstadt ein Höhepunkt per se. Alles in Fuß- und Bootsnähe und Kenner*innen der Festivals wissen wie es geht: Am Morgen schwimmen am Lido, mittags rüber zur Kunst- oder Architekturbiennale in die Giardini oder aufs imposante ehemalige Industriegelände Arsenale. Ein fantastisches kleines Dinner am Wasser und dann am Abend ab in die Tanzvorstellungen, am liebsten gleich als Theater-Hopping in mehrere Vorstellungen hintereinander. Danach? Mit den Künstler*innen in der Restaurantstraße Via Garibaldi vorm Arsenale Aperol Spritz oder – ganz venezianisch – den blutroten Select Spritz trinken.

Somit ist das Problem der Venedig Biennale eigentlich nie das Publikum, das seit eh und je in Scharen in die Vorstellungen strömt. Absoluter Höhepunkt ist immer die gut ausgewählte Verleihung der Löwen an ausgezeichnete Choreograf*innen zur Eröffnung des Festivals. In diesem Jahr ging der Goldene Löwe an Altmeisterin Twyla Tharp aus den USA  und der Silberne Löwe an die radikale Performerin Carolina Bianchi aus Brasilien. 

Das künstlerische Konzept, bedeutende Tanzkünstler*innen die Biennale kuratieren zu lassen, ist schon eher schwierig, denn Choreograf*innen stehen in der Regel im Tanzsaal bei Proben ihrer eigenen Produktionen und reisen nicht quer durch die Welt wie klassische Kurator*innen. So stand die Biennale Danza den vielen Sommerfestivals für zeitgenössischen Tanz in Wien, Berlin, München, Montpellier und Avignon in Sachen Avantgarde, vor allem aber choreografischer, stilistischer und regionaler Vielfalt manches Mal etwas nach. Nicht so in diesem Sommer: Eine Stippvisite zur Biennale Danza bescherte diesmal eine positive Überraschung, denn McGregor überraschte gegen Ende des Festivals mit völlig unterschiedlichen, starken Produktionen.

 

Wirklich cool mit Leinwand, Kunstrasen, akrobatisch genutztem Mini-Bike und Fallschirm. Auf welchem Planeten sind denn die da gelandet?  Ein nagelneues Stück der Kompanie Kor’sia  von Antonio de Rosa und Mattia Russo bringt bei brütender Hitze im Teatro Piccolo Arsenale das Chaos unserer Zeit auf die Bühne. In „Simulacro“ spielen die Choreografen in großartigen Bildern und mit fantastischen futuristisch anmutenden Tänzer*innen mit Realität und Virtualität, bis dem Publikum schwindelig wird. Rein und raus bewegen sich die Tänzer*innen zwischen Bildschirmwelt und Bühnenwelt – in einem pixelnden Mosaik aus Naturbildern, Film und digitalen Effekten. Bei de Rosa und Russo gehen hier Choreografie und Technologie permanent ineinander über und lösen dabei immer wieder die Grenzen des Gesehenen auf. Das glücklich aufgelöste Publikum trägt die Bilder noch lange in sich und feiert diese Choreografie bis spät in die Nacht. (Das deutsche Publikum kann die Produktion am 18.10. im Theater Freiburg sehen. Es lohnt sich!)

 

Fast schon konventionell mutet dagegen die Installation des Festivalleiters Wayne McGregor an. Denn „On the Other Earth“ war man eher mit den Tänzer*innen von Kor’sia. Sowohl in Bezug auf die digitale Welt, die Dreidimensionalität als auch die Choreografie beschleicht einen das Gefühl, Ähnliches schon besser bei Richard Siegal, Oliver Proske und Yui Kawaguchi, William Forsythe und anderen gesehen zu haben. So radikal neu wie behauptet ist das einfach nicht, was wir mit 3D-Brillen 50 Minuten stehend in einem runden 360-Grad-Filmraum erleben dürfen. Die Tänzer*innen erscheinen schön plastisch, meist in unterschiedlichen Zweier- und Dreierkonstellationen,  wagen dabei aber wenig choreografische Experimente. Hoffentlich hatte McGregor ausreichend Zeit, die eingeladenen Produktionen anzuschauen, denn dort gab es tatsächlich einige „Myth Makers“, wie das Motto des Festivals es ankündigte.

 

Er ist als Choreograf bereits Zweifachgewinner der letzten beiden Spielzeiten in der Umfrage der Zeitschrift tanz und überraschte sein Publikum mit der kraftvollen, umjubelten Uraufführung „La Mort i la Primavera“ in Venedigs Teatro Malibran. Basierend auf dem gleichnamigen unvollendeten Roman der katalanischen Autorin Mercè Rodoreda tauchen Marcos Morau und La Veronal in die Tiefen einer dunklen mythischen Welt ein, um sich dem Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung, in dem wir leben, auszusetzen. Morau versenkt uns in die Themen Geburt, Tod und Wiedergeburt. Er zeigt das pralle Leben zwischen dem Menschlichen und dem Heiligen, dem Spirituellen und dem Animalischen, ein Werk, das von Traurigkeit und Wut, aber auch von Widerstand geprägt ist. 

Aus dieser Wut und dem Widerstand bezieht die Choreografie ihre große Kraft. Historische anmutende Kostüme von Silvia Delagneau, düstere Naturlandschaft mit merkwürdigen Requisiten, sagenhafte Live-Gesänge der grandiosen Sängerin Maria Arnal, aber auch der Tänzer*innen auf der Bühne, zwischen traditionellen und elektronischen Sounds. Die Kompanie überwältigt geradezu mit ihrem hohen tänzerischen und musikalischen Energielevel, das die Kraft und Gewalt der Gruppe auf der Bühne explodieren und das Publikum nicht zur Ruhe kommen lässt. Katalanische Traditionen, Kämpfe, Trauer, Leid, Feste und Rausch in 75 überbordenden Minuten, denen dramaturgisch vielleicht ein paar Mal ein Innehalten gut getan hätten. 

 

Ganz im Gegensatz dazu präsentieren sich zuvor am selben Abend die „Friends of Forsythe“ Rauf „RubberLegz“ Yasit, Brigel Gjoka, Aidan Carberry & Jordan Johnson, Matt Luck und Riley Watts, die nahezu auf alle theatralen Elemente verzichten, mit denen die Kompanie La Veronal so glänzt. Stille, fast musiklose Soli, Duette und kleine Gruppenarbeiten von Forsythes engen jahrelangen Wegbegleitern fordern die volle Aufmerksamkeit des Publikums, das sich bei voller Saalbeleuchtung im Bühnenraum des Teatro alle Tese beim Zuschauen selbst zuschauen kann. Ein ganz feiner Abend mit ausschließlich erfahrenden Männern, der die Wurzeln und Tanzsprachen von Volkstanz, Hip-Hop und Ballett präsentiert und interessant miteinander verbindet. Eine kluge Arbeit, die die vielfältigen Hintergründe und Sprachen der Tänzer sehr sensibel in Kommunikation bringt. Darauf gleich noch mal einen Select Spritz!

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