„Khôra“ von Rui Horta 1996 im Mousonturm. Tanz: Ensemble

„Khôra“ von Rui Horta 1996 im Mousonturm. Tanz: Ensemble

Rui Horta: „I’m a very lucky guy“

Die Tanzcompagnie Gießen probt mit Rui Horta „Ordinary Events“ und „Khôra“

In diesem Jahr ermöglicht die Sonderförderung der Bundeskulturstiftung Tanz die „Rekonstruktion und Wiederaufführungen von Tanzklassikern des 20. Jahrhunderts“. In Gießen entschied sich Ballettdirektor Tarek Assam für einen Choreografen der jüngeren Vergangenheit, für Rui Horta

Gießen, 20/11/2013

In diesem Jahr ermöglicht die Sonderförderung der Bundeskulturstiftung Tanz die „Rekonstruktion und Wiederaufführungen von Tanzklassikern des 20. Jahrhunderts“. In Gießen entschied sich Ballettdirektor Tarek Assam für einen Choreografen der jüngeren Vergangenheit, auch aus persönlichen Gründen. „Als ich noch aktiver Tänzer in Düsseldorf war, gab es Anfang der 90er einen Geheimtipp in der Szene: der innovative Ansatz der S.O.A.P Company unter der Leitung von Rui Horta im Mousonturm Frankfurt.“

Nicht nur Assam pilgerte regelmäßig zu den neuen Stücken nach Frankfurt, die ganze Tanzszene war wie elektrisiert. Für Assam war es „eine der klarsten Geburtsstunden des zeitgenössischen Tanzes“. Hortas Stücke aus dieser Zeit sind für ihn wegen ihrer „ungewöhnlichen Verknüpfung von überraschenden choreografischen Ideen und medialen Elementen mit dem Raum legendär“. Vieles ist von Choreografen aufgenommen und weiter entwickelt worden, doch „junge Menschen heute kennen seine Arbeit nicht mehr“, bedauert Assam. Darum ist es ihm wichtig, einen Teil davon wieder auf die Bühne zu bringen.

In der zweiten Novemberwoche kam Rui Horta zu ersten Proben nach Gießen, fühlte sich gleich heimisch in der mittelhessischen Universitätsstadt. „Ich mag Hessen, mir gefallen die Landschaft und die Menschen“, erzählt er. In Gießen war er auch schon mal, hat bereits zum ersten internationalen Tanzfestival „Nomads“ 1999 mit der hiesigen Tanzkompanie (damals unter Roberto Galvan) sein „Ordinary Events“ einstudiert. Das längst zum Klassiker gewordene Stück bezeichnet Rui Horta selbst als museal, es wurde weltweit über 150 mal aufgeführt. Auch bei der aktuellen Einstudierung in Gießen gehört es dazu, denn es markiert den Beginn seiner innovativen Tätigkeit 1991 in Frankfurt.

Wie kam er nach Frankfurt? Schließlich ist er Portugiese und erhielt seine Tanzausbildung in Lissabon, war danach für 10 Jahre in New York. Es war Dieter Buroch, Leiter des Künstlerhaus Mousonturm, der ihn für eine Gastchoreografie holte und als diese gut ankam, fragte er Horta, ob er Resident Choreographer werden wolle. Dieses erste Frankfurt-Stück „Ordinary Events“ studierte Horta mit Forsythe-Tänzern ein. „Wir haben in einem Olympia-Sportzentrum in der Schweiz geprobt und waren von diesen Athleten umgeben. Also haben wir deren Bewegungen in den Tanz aufgenommen, uns zunächst viele Verletzungen zugezogen. Heute gehört es zum Ausbildungsstandard, dass die Tänzer lernen zu fallen und zu fliegen ohne Angst zu haben. Damals war das neu.“

Weltweit wird sein Stil als deutscher Tanz aufgefasst, auch seine aktuellen Einstudierungen mit fast allen namhaften Tanzkompanien der Welt. Wie kam er dazu? „Einfach vom hier leben. Ich stamme aus einem armen Land, habe zehn Jahre Weltstadt geschnuppert und kam dann in das saubere und geordnete Deutschland. Ich mochte das sofort und habe mich sorgfältig umgeschaut. Deutschland hat mich diszipliniert, hat meinen Stücken das Formale gegeben, zu dem wilden Südländischen, das ich ja mitbrachte.“ Eine Tanzjournalistin fand dafür einen Vergleich, der ihm bis heute gefällt: ein poliertes, präzise laufendes deutsches Auto, das von einem verrückten Südländer gefahren wird.

Und nun zählt er offiziell zum deutschen Tanzerbe. Was macht diese Würdigung mit ihm? „Ich bin froh und dankbar. Die sieben Jahre in Frankfurt waren die wichtigsten in meinem Leben, dort habe ich meinen Stil entwickeln können. Dank Dieter Buroch, der mich holte und unterstützte, dank der großartigen Tänzer, die ich um mich versammeln konnte. Und überhaupt, Frankfurt in den 90ern war top in Sachen Kreativität und Weltoffenheit. Es war auch Bill Forsythe’s große Zeit. Wir waren alle miteinander befreundet und haben auch kooperiert.“ Dass er Frankfurt 1997 verließ, hatte schon damals mit Sparmaßnahmen und geringer Wertschätzung durch offizielle Stellen zu tun.

In München blieb er nur zwei Jahre, seine drei Kinder wurden dort geboren. Er ging mit Familie zurück nach Portugal, nutzte die Chance eine Klosterruine in Montemor südlich von Lissabon kaufen zu können und begann diese zu einem Kreativzentrum auszubauen. Mittlerweile hat das Zentrum einen guten Klang in der ganzen Welt (www.oespacodotempo.pt). „Damit kann ich in meinem Heimatland etwas zurückgeben.“ Auch wenn immer noch nicht alles instand gesetzt ist, „das läuft halt langsamer in Portugal“, arbeiten dort 40 Gruppen verschiedener Kunstparten. Vor Weihnachten wird die TCG dort für eine Probenwoche zu Gast sein.

Das zweite Stück, das mit der TCG erarbeitet wird, markiert das Ende von Rui Hortas Zeit in Frankfurt: „Khôra“ sei sein wohl „deutschestes Stück“ und sein schwierigstes, weil es differenziertes theatrales Können braucht. Bislang hat er Rekonstruktionen immer abgelehnt, nun hat er sich darauf eingelassen, weil in Gießen ein Assistent die Proben leitet, der einst bei der S.O.A.P.-Company Tänzer war und „Khôra“ mit zur Aufführung brachte: Dietmar Janeck, der sich mittlerweile auch als Theaterfotograf einen Namen gemacht hat. Es sei archäologische Arbeit für beide, alles muss mittels Videofilmen und handschriftlichen Notizen rekonstruiert werden. Doch ist er guter Dinge, „das klappt, wir haben genug Zeit.“ Premiere ist am 22. Februar 2014.

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