Treffen und trennen

„Sirius, mon alter ego“ von und mit Kristina Veit und Pierre-Yves Diacon in Frankfurt und Basel

Frankfurt, 06/11/2010

Den Werbeblock vorab. In Frankfurt ist der Tanz groß im Kommen. Das hat sicherlich auch mit dem dortigen Tanzplan, dem Tanzlabor 21, zu tun, der ja ab 2011 auch fortgeführt werden kann. Die Forsythe Company, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, den Mousonturm und das kleinere Gallus-Theater gab es alle ja schon vorher. Doch jetzt machen eine Reihe jüngerer Tänzer und Choreografen - die Generation, die die Funktionen kaum mehr voneinander trennt - Action. Vernetzen, verbünden sich als ID Frankfurt, präsentieren Arbeiten auf einer jährlichen Plattform, beleben einen bisher ganz tanzfernen Saal, der ansonsten das studentische Uni-Kino beherbergt. Räume sind ja, wie in anderen Städten auch, das permanente Problem der Tanzszene. Also suchen sie weiter und belegten nun das kleine freie Theater Landungsbrücken zum ersten Mal mit Tanz. Die Premierenzuschauer mochten das Off-Ambiente, und die Theaterleute staunten, wie anders der simple schwarz verhängte Raum wirkt, wenn ein Tänzer ihn betritt. Den in Eigenarbeit verlegten, mobilen Tanzboden hatte die Initiative ID Frankfurt von Zuschüssen anschaffen können. 

Mit Raum hatte interessanterweise auch die Tanzperformance selbst zu tun, die hier am 4. November uraufgeführt wurde. „Sirius, mon alter ego“ betiteln Kristina Veit und Pierre-Yves Diacon ihr Duett. Barfuß, im einfachen T-Shirt und Hose sind sie zwei Figuren in einem begrenzten eckigen Weltraum, die einander aus irgendwelchen physikalischen Gründen anziehen und abstoßen. Sie stehen Rücken an Rücken und gehen auseinander. Bis zum Rand des Felds und wenden, gehen zurück, wieder finden sich die Rücken. Der Doppelpack verändert insgesamt die Richtung, die Einzelteile gehen wieder weg, zurück, hinter dem anderen her. Später rennen sie auseinander, halten plötzlich an, man fühlt den Umschlag des Schwungs wie ein Schwanken des Raums; dann treibt es sie zurück wie einen Berg hinab. Oder einer liegt, der andere packt seinen Kopf auf dessen Bauch; dann schnell wieder hoch, weglaufen, in Spiralen, und wieder zu Boden gleiten. 

Der „Sirius“ lebt von der Physik der Körper in Bewegung, vom Anstoß, den das Gewicht für einen Weg durch den Raum gibt, Beschleunigungen, Verlangsamungen bis zu Ruhezuständen, von den Bahnen hinauf und hinunter und herüber, die in einer Art Natur der Dinge zu liegen scheint. Die beiden schauen einander auch nie in die Augen, bis zu einem bestimmten Punkt, als ob sie Teil eines einzigen Systems seien, das fraglos funktioniert, mit dem Raum eins ist und ihn swingt und pendelt, durch einen unsichtbaren Magneten in Gang gebracht. Doch dadurch dass die beiden trotzdem als Menschen erkennbar sind, bekommen Treffen und Trennen auf dezente Weise eine andere Komponente, die in die Dramaturgie hineinblinkt. Denn während der eine Planet, die Frau, zunehmen in Ruhe bleibt, springt der Mann immer öfter auf. 

Die Symmetrie bricht, aber nicht die Gesamtübereinstimmung. Oder er steht nur, und ihre Außenhaut sucht überall Stellen zum Andocken an dem baumartigen Klotz. Das kann schon auch eine Beziehungsgeschichte sein. Als sie einmal ihre Kombinationsstelle gefunden haben, Kopf an Hals an Kopf verhakt, legen sie sich hin und bäumen sich auf wie ein Achtfüßler, rollen über die doppelte Längsachse, hin und her, und immer höher, bis sich die Körper trennen müssen, bis sie auch ganz eigene Wege gehen und die gemeinsame Dynamik aufkündigen. Die menschliche Gefühlsphysik lässt sie eigenen Raum suchen und doch nicht finden, jetzt werfen sie einander Blicke zu. Und trudeln ganz langsam, in Umwegen, wieder zusammen. Beide Tänzer kommen aus unterschiedlichen Stilen, was der „Sirius“ nicht extra betont, was aber eine angenehme Irritation beim Doppeltsein, diesem Zweierkörper, ergibt. 

Kristina Veit kommt von Ballett und zeitgenössischem Tanz, ist eher klein und in einer fast drahtigen nach außen gerichteten Spannung; Pierre-Yves Diacon, ihr Schweizer Kollege, größer, ein Breakdancer, der mit leichten Füßen über dem Boden fitschelt, gern auch auf allen Vieren, und im Stehen in seiner Körpermitte versackt. Grundiert von der mal ruhigen, mal minimalistisch wogenden Klaviermusik von Jam El Mar (aka Rolf Ellmer), dazu etwas zu häufige Lichtwechsel. Die Tänzer können sicher an Schärfe oder Strahlkraft noch zulegen. Man wünscht dem „Sirius“ noch viele Landungen auf Bühnen, als bewegungsfreudiges, so gar nicht „schwieriges“, doch mehrdimensionales Stück. 

4.-6.11.2010, 20 Uhr, Frankfurt am Main, Landungsbrücken, 12. und 13.11.2010, 20 Uhr, Basel, Probebühne Cirqu'enflex; Termin in Neuchatel/Schweiz noch offen.

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