Am Ende heißt es immer wieder Schach

„Play“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Shantala Shivalingappa hat in DeSingel Premiere

Antwerpen, 10/11/2010

Unter den Danksagungen taucht der Name Pina Bauschs auf. Ihr ist auch die gemeinsame Arbeit von Sidi Larbi Cherkaoui und Shantala Shivalingappa gewidmet, und das aus gutem Grund: Schließlich ist es die verstorbenen Direktorin des Tanztheater Wuppertal gewesen, die vor zwei Jahren bei ihrem „Fest mit Pina” nicht ohne Hintergedanken beider Begegnung ermöglicht hat. Und in der Tat: zwischen beiden hat es am Ende so „gefunkt”, dass sie sich zu einer künstlerischen Kooperation entschlossen. Erstes Ergebnis der beidseitigen Inspiration heißt nicht (wie ursprünglich geplant und auf der DVD „Dreams of Babel” angekündigt) „Adam & Eve”, sondern schlicht und stimmig „Play”.

Denn bei dem Duo handelt es sich nach den Worten des künstlerischen Beraters Arthur Nauziciel „um zwei ineinander verflochtene Konzepte: Um den Begriff des Schauspiels, des Rollenspiel im Theater und um die Spiel, die Menschen spielen, in diesem Fall ein und eine Frau. Um Schachspiele, Spiele der Verführung, um Spiele, bei denen sich männlich-weibliche Energien gegenüberstehen, ohne sich auszuschließen.”

Um ganz genau zu sein: die beiden sitzen sich gegenüber, nachdem sie sich ihrer Harfen entledigt haben, die sie zunächst als Musiker erscheinen lassen. Sidi Larbi Cherkaoui ruht in sich selbst, in einen schwarzen Anzug gekleidet. Shantala Shivalingappa gibt sich nicht minder locker, rafft ihre grauen Hosenbeine hoch und wirkt so in ihren goldenen, hochhackigen Sandaletten noch verführerischer, als sie es ohnehin schon ist. Das Spiel beginnt – und wie von Trommelschlägen getrieben, ziehen die beiden Kontrahenten immer schneller ihre Züge, dem Zuschauer sichtbar gemacht durch eine Projektion auf die hölzerne Rückwand, die selbst etwas von einem Spielfeld hat.

Am Ende heißt es immer wieder Schach. Wer von den beiden Sieger ist, bleibt dem Publikum verborgen, beginnt doch das Brett zuletzt selbst so zu rotieren, dass sich die Züge verwirren. Fast könnte man meinen, die beiden wären selbst Figuren in einem imaginären Spiel. Sidi Larbi Cherkaoui jedenfalls agiert kantig, wiederholt knicken seine Beine ein: ein echter Hampelmann. Shantala Shivalingappa dagegen, in der Tradition des indischen Kuchipudi groß geworden, lässt ihre Formen fließen. Weit breitet sie ihre Arme aus.

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und selbst wenn die beiden unterschiedlichen Bewegungswelten entstammen, eint sie am Ende eins: die Neugier auf alle Spielarten von Tanz. Cherkaoui, ein Belgier marokkanischer Abstammung, hat mit den Balletts de Monte-Carlo zusammengearbeitet und bei „Sutra” mit Mönchen aus dem Shaolin-Kloster. Shantala Shivalingappa wiederum, in Madras geboren, aber in Paris aufgewachsen, war in „1789... et nous” von Maurice Béjart dabei, ebenso bei Peter Brook, Bartabas und Ushio Amagatsu. Nach wie vor tourt sie mit „Néfés” und „Bamboo Blues” von Pina Bausch, ohne jemals den Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Egal, ob es sich um einen Maskenspiel handelt, wie man es in Korea kennt, oder um zwei Menschen-Marionetten, die einander nacheifern: immer inspiriert der eine die andere, nicht einmal dominiert die eine den anderen. Es ist ein ewiges Geben und Nehmen, ein fortwährendes Suchen und Finden.

Shantala Shivalingappa webt „auf eine ruhige und natürliche Weise Rhythmus-Muster und gestische Codes des Kuchipudi in das Stück ein”, so Arthur Nauzyciel. Und Cherkaoui lässt sich mitnehmen in eine ferne Welt und macht sie sich gleichzeitig doch zu eigen. Wie sagt der Künstlerische Berater doch so schön? „Ihre Stimmen tanzen, und das Singen wird zu einer inneren, unsichtbaren Choreografie.” Und mehr als das. Zwischendurch gerät Shantala Shivalingappa in die Fänge einer Puppe, die Filip Peeters eigens für „Play” gebaut hat: ein herrischer Alter, den Sidi Larbi Cherkaoui wie in „Apocrifu” so handgreiflich in Szene setzt, als wär‘ er ein Bauchredner.

Doch die Tänzerin dreht den Spieß um und erscheint, kaum des Platz verwiesen, an der Hand einer „weißen Dame” wieder auf der Bühne. Und stellvertretend beginnt ein Verführungsspiel, in das die beiden Akteure erst später einsteigen, indem sie sich selbst in die Puppen verwandeln. „Alles ist möglich”, wie es in dem Song von Terri Naomi und Jay Brannan heißt, den beide singen. Mit ihm endet das Kammer-„Spiel“, das einem die Augen öffnen soll für die Möglichkeit einer „Neuen Welt”. Selbst wenn sie verbunden sind wie in einer der schönsten Szenen des einstündigen Abends.

www.desingel.be / www.east-man.be
Aktuelle Auftrittstermine im deutschsprachigen Raum u.a. am 28.1.2011 in St. Pölten (www.festspielhaus.at), am 14. + 16.7.2011 in Ludwigsburg (www.schlossfestspiele.de)

 

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