„Play“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Shantala Shivalingappa
„Play“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Shantala Shivalingappa

Die Geister der Ahnen

Schachspiel und tanzende Hände: Sidi Larbi Cherkaoui gastiert mit „Play“ bei den Schlossfestspielen

Ludwigsburg, 16/07/2011

Tanzende Hände kennen wir in Stuttgart aus Marco Goeckes Balletten – so zärtlich aber haben wir sie dort noch nie gesehen. Sidi Larbi Cherkaoui macht noch das kaum sichtbare, tastende, fast reglose Berühren zweier Hände zum poetischen Tanz. Um Hände – ihr Spiel, ihre Wendigkeit, ihre Schönheit – geht es in „Play“, dem neuen Stück des belgischen Marokkaners, einem der großen Magier des modernen Tanzes, der zu einem regelmäßigen Gast in Ludwigsburg geworden ist und jetzt im Rahmen der Schlossfestspiele im Forum gastiert. Anders als seine groß besetzten Werke wie „Babel“ oder „Sutra“ ist „Play“ ein tanztheatralisches Kammerspiel, choreografiert und interpretiert von ihm selbst und der schönen Inderin Shantala Shivalingappa, die bei Pina Bausch und Maurice Béjart getanzt hat.

Wie immer bei Cherkaoui begleitet Live-Musik den Tanz, seine bevorzugte Mischung aus Weltmusik verschiedenster Ethnien. Indisch, japanisch, altitalienisch klingen die geheimnisvollen Gesänge, Assoziationen gehen zur Zigeunermusik, zum Tango oder zur Minimal Music, wenn die vier Musiker auf ihren mindestens 20 Instrumenten mit viel Schlagwerk und den fremdartigsten Saitenklängen spielen. Sie sitzen auf Plattformen, die man schachbrettartig immer neu zusammensetzen kann, das königliche Brettspiel bestimmt auch das Bühnenbild.

Obwohl beide in nüchternen grauen Business-Anzügen agieren, bringt Shantala Shivalingappa die klassisch-indischen Elemente in den Tanz: die feinen, gespitzten Hände in Blütenform, Hüpfer, Stampfen und Schleifen der Füße. Sie ist die Traditionalistin, Cherkaoui ist wie so oft der Neugierige und Lernende, der sich als Tanzbesessener jede Art der kodifizierten Bewegung einverleibt, die unterschiedlichsten ethnischen Elemente in seinem gummiartigen, scheinbar gelenklosen Körper sublimiert. Genau wie die Musik entsteht der Tanz aus völlig verschiedenen Assoziationen, zunächst nur als intensiv hüftbetonte Reaktion auf den Rhythmus, später gewagter mit Sprüngen aus dem irischen Stepptanz, Tangoschritten zu Harfenmusik, ein Hauch von Disco sogar, alles in eine moderne, lose, feine Sprache verwandelt.

Eine Partie Blitzschach der beiden Tänzer wird an die Wand projiziert, später auch das faszinierende Vexierspiel von acht rhythmisch klatschenden, einander jagenden Händen. Cherkaoui und seine Partnerin verkleiden sich mit überdimensionalen Kopfmasken als alte Grummler und barmen pantomimisch mit den Armen, dann spielt er mit ihr, als ob sie eine Marionette an unsichtbaren Fäden wäre, ja bedient sich selbst, als ob er an einem Faden hinge. Später schweben menschengroße Stabpuppen wie die Geister der Ahnen vor beiden, vor allem Cherkaoui ist ein begnadeter Puppenspieler, der winzigste Regungen seiner Figur andeuten kann. Wie so oft in seinen Stücken geht alle moderne Bewegungskunst, alle intellektuelle Symbolik irgendwann in der reinen Poesie des Tanzes und der verzaubernden Kraft des Theaters auf. Shivalingappa verbindet ihm die Augen, er sucht sie tastend, und gemeinsam singen sie leise „A whole new world“ aus einem Disney-Film, so kindhaft-aufrichtig, dass wir lächelnd mit ihnen daran glauben. Ihre ernsthafte Rede über das Glück und den Weg dorthin tanzt er vorsichtig mit seinen Händen nach – wir sind dem flüchtigen Gefühl mit dieser Aufführung ein gutes Stück nähergekommen.

www.schlossfestspiele.de

Kommentare

Noch keine Beiträge