Unauffällig
Doppelabend „Vice Versa“ an der Semperoper Dresden
Einen imperialen Totentanz hat Sidi Larbi Cherkaoui dem zu Ende gehenden Johann- Strauss-Jahr und dessen kuratorischem Team im Auftrag der Stadt Wien beschert. Und ist damit nicht der erste große Choreograf, der auf eine hochoffizielle Wien-Anfrage mit einer szenischen „Läuterung“ des „Wienertums“ antwortet. Maurice Béjart hat zum Mozartjahr 1991 in der Volksoper „Tod in Wien“ inszeniert, Pina Bausch in ihrer Koproduktion mit den Wiener Festwochen 1994 im Messepalast „Ein Trauerspiel“.
Der Ruf der Stadt Wien und insbesondere jener der Strauss-Familie ist immer noch mit dem „beglückenden“ Schein verbunden, den das weltweit ausgestrahlte Neujahrskonzert immer wieder von Neuem produziert. Ein ewiges Sektkorkenknallen. Dem will, ja muss in Auftragswerken etwas entgegengehalten werden. Nun also „Imperial Ball“ in Koproduktion mit dem Grand Théatre de Genève: Scheinbar feudal wirkendes Theater mit großer Dekoration, wie ein Kirchen-Innenraum, der einmal nach Außen gewendet wird.
Historisierende Kostüme mit Witz: Der prominente Ausstatter Tim Yip spielt mit Merkmalen unterschiedlicher Epochen, barocke Uniformen treffen auf Biedermeier-Frisuren und den „Cul de Paris“. Yips Neuinterpretation des Gesäßpolsters aus der Mode der vorletzten Jahrhundertwende zeigt unter dem Aufsatz gleich den behosten oder nackten Popo. Solche Attribute fließen in die dramaturgisch zündenden Interventionen ein, die sich durch den dreiaktigen Abend ohne Pause durchziehen.
Spiegelung von Ost und West
Cherkaoui setzt Johann Strauss (u. a. Csárdás aus „Ritter Pásmán“, „Egyptischer Marsch“, „Persischer Marsch“, „Rosen aus dem Süden“) traditionelle, japanische Live-Musik entgegen. Im Orchestergraben dirigiert Constantin Trinks das Wiener Kammerorchester mit spritziger Verve. Auf der Bühne sind Tsubasa Hori, Shogo Yoshii und Kazutomi Kozuki (Gesang), ganz in Schwarz gekleidet, Teil der Idee einer Spiegelung. Östliches und westliches Denken stellt der Choreograf personifiziert durch Figurenkonstellationen einander gegenüber. Das Kriegsgerät, ein Säbel, wird von Anfang an ins Geschehen implantiert. In einer minutiös einstudierten, vorgegaukelten Tötung will sich ein backenbärtiger Infanterist, vielleicht Strauss, seiner Nöte und damit seines dunklen Alter Egos entledigen.
Nach einem frugalen Gesellschaftsmeeting an einem mit Früchten aufgetürmten weinroten Bankett zieht orgiastischer Militarismus auf das Ball-Feld ein. Ein Soldaten-Trupp in barock-bunter Adjustierung samt Perücke findet seine abgeklärte Entsprechung in asiatischer Kampfkunst. Diese dramaturgische Idee geht auf, weil der Choreograf damit eine breite sinnhafte Interpretationsfläche eröffnet. Sie mag, ganz simpel von der Auseinandersetzung der Habsburgischen Monarchie mit der Wirtschaftsmacht Japan und dem Einfluss asiatischer Denkmodelle im 19. Jahrhundert beginnen, auch wenn „Imperial Ball“ ganz und gar nicht dokumentarisch ist. Sie mag sich fortsetzen im Sinn des willfährigen militaristischen Ehrbegriffs, der einem Zeremoniell entsprungen war. Und sie eröffnet die inszenatorische Möglichkeit auf Hohl-Heiteres, auf Dekadenz und eine aus den Fugen geratene „Feierlichkeit“ eine Abfuhr in die Ernüchterung, in den Tod folgen zu lassen. Schwarze Gestalten, deren Augenöffnungen geisterhaft glühen, beherrschen diese Transformation einer Gesellschaft. Aber schon zur Schnellpolka „Unter Donner und Blitz“ setzt das große Töten an: Jeder Tusch ein Schuss aus dem Gewehr – von Frauen. Ein tanzendes Leichen-Feld verkörpert das Ende einer Epoche. Der Todesengel in asiatischer Ritterrüstung beherrscht statuarisch den Schlussmoment.
Seismografische Wahrnehmung
Johann Strauss gilt als genialer Entertainer, der aber auch von neurotischen Ängsten geplagt worden sein soll. Er reagierte jedenfalls seismografisch auf kulturelle und politische Ereignisse und führte Militärmusik in seinen zahlreichen Märschen aus heutiger Sicht in ein popkulturelles Genre über. Philipp Ther beschreibt in seinem neuen Buch „Der Klang der Monarchie“ (Suhrkamp) die geschickte Volkslenkung staatstragender Komponisten einerseits zur Ablenkung von Kriegen andererseits aber auch zur Militarisierung des Volkes bis zur gefeierten Akzeptanz der Armee.
Cherkaouis neue Produktion zeigt die politische Verflechtung von Macht und Vergnügungsrausch. Choreografisch schöpft der eklektizistische, nichtsdestotrotz wundersam eigenbrötlerische und musikalische Künstler aus den Universen seiner multinationalen Produktionen. Es ist zeitgenössischer Tanz mit einem reichen Potpourri an Handgesten, der in den Beinen dieses Mal auch vom Tango unterspült ist. Dem Walzer-Takt begegnet er vorwiegend in solistischen Formationen. Zu den unvermeidlichen Klängen des markanten Strauss-Opus 314 „An der schönen blauen Donau“ aber werfen tatsächlich die Tänzer*innen bewegungstechnisch die Wellen in den Raum, ehe sie die Ball-Fläche einkreiseln.
Es ist die 69. Produktion des Strauss-Jahres und die vorletzte; aus meiner Sicht, die ich längst nicht alles gesehen habe, ein starker, gescheiter, nachdenklich machender Abend mit einem hinreißenden Ensemble.
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