„Ihsane“ von Sidi Larbi Cherkaoui, Ballet du Grand Théâtre de Genève und Eastman

Wir könnten uns verstehen

„Ihsane“ von Sidi Larbi Cherkaoui mit Eastman, dem Ballet du Grand Théâtre de Genève am Festspielhaus St. Pölten

Vermittler der Kulturen mit dem Mittel der Güte: Cherkaoui, Sohn einer belgischen Mutter, gedenkt in einer nahezu mythischen Herkunftserzählung seines marokkanischen Vaters.

St. Pölten, 26/01/2025

Die Pädagogik zu Beginn des umjubelten Abends im Festspielhaus St. Pölten erweist sich als kurz und schlägt doch gleich Pflöcke ein: Eine Beurteilung des „Arabischen“, sei es die Diversität seiner Länder und ihrer Kulturen, sei es die Sprache mit ihren vielen Ausprägungen, verlangt Wissen. Mit kleinen Sprachübungen und Hinweisen zu Verbreitung und Linguistik vor der bunten Schüler*innenschaft aus den Tänzer*innen auf der Bühne und den fast spontan laut mitübenden Zuschauenden hebt Cherkaouis Inszenierung denn auch an.

Der Regisseur verschiebt damit gleich die Stimmung hin zu konzentrierter, neugieriger Bereitschaft und lässt uns immer mehr in eine Menschheitsgeschichte versinken: Als würde „Tausend und eine Nacht“ erweitert um die Kenntnis aktueller Vorfälle wie der Ermordung des jungen homosexuellen marokkanischen Mannes mit dem Vornamen Ihsane 2012 im belgischen Liège neu erzählt. Cherkaoui etabliert die Erinnerung daran formal abstrahiert.

Ruhe und Unaufgeregtheit

Groß und breit verläuft das Geschehen (Bühne: Amine Amharech), das Videowände (Maxime Guislain) mit Landschaft, mit Floralem, mit dunklen Augen, mit Ziegen und daher auch mit geschlachtetem Fleisch und Blut umgeben. Zentral positioniert ist im hinteren Bereich das herausragende musikalische Team, das neue „arabische“ Musik von Jasser Haj Youssef nach alten Vorlagen spielt, unter anderen der Komponist selbst auf der Viola d’amore, Rhodes Yasamin Shahhosseini auf dem Saiteninstrument Oud, Gaël Cadoux am Klavier und Gabriele Miracle Bragantini am Schlagzeug sowie den Sänger*innen Fadia Tomb El-Hage und Mohammed El Arabi-Serghini.

Die vielsprachigen Soli, Duette und Ensembleszenen der 19 alerten Tänzer*innen transportieren auf eklektizistisch-zeitgemäße, fast rituelle Weise Szenen um einen Mann, Familie, Behausung, Liebe, ja auch Identität und Spiritualität in einem Verhalten des „Wohlwollens“. Die Kerzentänze der durchsichtig Halbverschleierten (Kostüme von Amine Bendriouich) auf Halbspitze sind nur ein Beispiel dafür. Insgesamt ist die Produktion zwar durchwoben von Choreografie, die aber dank ihrer Ruhe, Sanftheit und Unaufgereghteit vor allem Stimmungsträger ist. Selbst ein Urban Dance-Solo bleibt „beredt“ zurückhaltend.

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