Eine andere Welt

Mark Sieczkarek studiert „Common Tones“ in Münster ein

Münster, 10/10/2010

Harmonie und Poesie. Ruhe und Ritual. Fließende Klänge, Bewegungen, Gewänder und Bilder. Schiere Schönheit verströmt die neue Tanzkreation, die Mark Sieczkarek als erster Gastchoreograf des Tanztheaters Münster in der immerhin schon 14 Jahre währenden Ära Daniel Goldin mit den vier Tänzerinnen und vier Tänzern einstudiert hat. „Common Tones“ – Gemeinsame Klänge – nennt er die 70-minütige Choreografie. Eins der schönsten romantischen Gedichte Deutschlands gab den Anstoß, Joseph von Eichendorffs „Mondnacht“: Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst... So sehr die Tanzsprache des Schotten der des Argentiniers Goldin ähnelt – stark geprägt vom deutschen Ausdruckstanz, modifiziert durch Akzente aus der Folkwangschule –, so ist sie hier doch stark reduziert auf große Gesten, kreiselnd großräumige Drehungen, gemessenes Schreiten. Dazwischen mischen sich Posen aus dem indischen Tempeltanz, aus China und der türkischen Derwischkultur.

Raffiniert nutzt Sieczkarek die Videotechnik für „Doppelbilder“: immer wieder werden während einer getanzten Szene einzelne Tänzer oder die Gruppe auf die beiden cremfarbenen Vorhänge projiziert (Video: Oliver Iserloh) oder der Kopf eines Tänzers in der Totale während eines Solos oder aber Blumen, glitzerndes Wasser, Lavaströme. Mit dem Song „Another World“ der amerikanischen Band „Antony and the Johnsons“ beginnt dieses Traumtanztheater. Ruhevoll perlen Sätze aus den Saxophon- und Violinkonzerten von Phil Glass hinterher. Zart klingt Henri Salvadors Chanson „Dans mon ile“ zwischen weiteren Antony-Balladen und schließlich, pathetisch und hinreißend humorvoll, John Adams‘ Orchesterstück „Lollapalozza“. Da sind wir aus diesen anderen Welten und Zeiten plötzlich zurückgeholt in unsere heutige Welt – ohne Gram, Hass und Katastrophen, in Adams‘ Welt sozusagen von „Common Tones in Simple Time“ (so der Titel eines anderen Adams-Orchesterstücks).

Die raffiniert aufwendigen, weit schwingenden Seidentücherroben in orientalischen Paisleymustern von Sigrid Lachnitt für die Damen und ihre Damenkostüme für die Herren – lange Faltenröcke und Jäckchen über ärmellosen Organza-Blüschen – tragen viel zur harmonischen Ästhetik dieses Tanzabends bei. Das Ensemble, mit drei neuen Mitgliedern, präsentiert sich bestens. Unglaublich elegisch immer wieder die überzarte Ines Petretta und Matthias Schikoras malerische Gestik der langen Arme! Nur wäre zu wünschen, alle dürften sich etwas öfter ein bisschen heiterer geben.
 

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