"Furien" von Lilian Stillwell

Der Widerspenstigen Zähmung

Umjubelter Einstand von Münsters neuer Tanzchefin Lillian Stillwell mit ihrem Stück „Furien“

Mit großem Dank nahmen Lillian Stillwell und das Ensemble den langen, trampelgestützten Beifall des Premierenpublikums als Ausdruck herzlichen Willkommens entgegen und feierten einen umjubelten Einstand.

Münster, 22/09/2022

Von Hanns Butterhof

Mit einem kreatürlichen Bild beginnen die „Furien“ von Münsters neuer Tanzchefin Lillian Stillwell. Zu Blitz und gewaltigem Donner in der Musik von Randomhype fällt Licht so auf eine Reihe von Gestalten, dass nur das nackte Fleisch ihrer Beine zu sehen ist. Kopf und Rumpf in einem moosigen Hemd (Kostüme: Louise Flanagan) sind kaum zu ahnen. Wie sich die gleichmäßig atmenden Körper wellenförmig heben und senken, scheinen sie ein einziges schlafendes Wesen zu sein.

Wenn sie dann erwachen und in Reihe nach vorne drängen, bleiben sie gekrümmt, ihre eher gymnastischen Bewegungen an den Boden gebunden. Einzelne lösen sich aus der Gruppe und gehen mit schrillen Schreien bei aggressiver Gestik und Mimik auf das Publikum los, während andere spielerisch von einem Pulk auf Händen getragen werden. Schließlich bilden sie einen großen Kreis, und kriegerisch aufstampfend rufen sie das Gefühl einer gewaltigen, unbesiegbaren Masse hervor.

Doch sie sehen sich mit einer stärkeren Macht konfrontiert. Strahlendes Licht aus dem Bühnenhintergrund lässt sie taumeln, in Zeitlupe und mit dem Rücken zum Licht ziehen sie sich zurück, flüchten in Schatten und weichen, auf die Knie gehend, bis zum äußersten Rand zurück. Nachdem einzelne noch vergeblich versucht haben, die weiße Treppenkonstruktion der Bühnenbilder*innen Stella Sattler und Jonathan Brügmann zu ersteigen, organisieren sie sich militärisch. In Reih und Glied marschieren sie stampfend mit bedrohlichen Kampfgesten, und schließlich gelingt ihnen teilweise artistisch, die Treppe einzunehmen. In diesem Prozess aber haben sie sich verändert, auf den Stufen der Treppe helfen sie sich gegenseitig aus ihrem moosigen Oberteil und werden ohne diese erstmals als Individuen sichtbar.

Sie zerlegen die Treppe in kleinere Teile, die sie unter sich verteilen, ihre Bewegungen werden gesellig, alle fassen sich an den Händen und bilden fröhliche Reihen. Harmonisch gebändigt steigern sie sich zu geschliffenen Figuren aus dem klassischen Ballett und nehmen Posen altgriechischer Götterstatuen ein. Schließlich beginnen sie in allen im Ensemble verfügbaren Sprachen zu reden, finden gewaltfrei eine Einigung, und selbst ein noch kurzzeitig Zögernder schließt sich der friedlich abgehenden Gesellschaft an.

Lillian Stillwells „Furien“ ist ein mehrdeutiges Stück, das sich an eine Episode aus der „Orestie“ des griechischen Dichters Aischylos anlehnt, aber auch ohne diese als Sozialisationsgeschichte verstanden werden kann. Der Ablauf der „Furien“ folgt zwar im Wesentlichen der Orestie, in der die Erinnyen aus unbändigen Rachegöttinnen durch ein fragwürdiges Eingreifen der Göttin Athene zu wohlmeinenden Eumeniden umgeformt werden. Es ist die Perspektive, die fraglos begrüßt, dass das Gesetz der Blutrache durch das bürgerliche Gesetz gebrochen wird. Wird der Ablauf aber als Sozialisationsprozess gelesen, von dem gerade auch das dicht am Geschehen, in Hufeisenform platzierte Publikum betroffen ist, so bleibt ein Gefühl des Mangels zurück. Wie kräftig war der Beginn, wie organisch das Leben der Gruppe am Anfang. Am Ende bleibt der Eindruck einiger Längen, die auf das Fehlen von Wunden und Verlusten zurückzuführen sind, die bei der Zähmung dieser Widerspenstigen angefallen und im Leben weiter wirksam sind.

Mit großem Dank nahmen Lillian Stillwell und das Ensemble den langen, trampelgestützten Beifall des Premierenpublikums als Ausdruck herzlichen Willkommens entgegen und feiern einen umjubelten Einstand.

Die nächsten Termine: 20. und 24.9., 1., 3., 16. und 26.10., jeweils 19.30 Uhr, am 8.10. um 20.00 Uhr.
 

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