Ein Triumph der Tänzer

„Gefährliche Liebschaften“ von Jörg Mannes

Hannover, 06/03/2010

Theater, Film und Broadway haben es vorgemacht - jetzt bemächtigt sich auch Jörg Mannes der „Gefährlichen Liebschaften“ und landet einen rauschenden Erfolg am Staatstheater Hannover, nicht zuletzt dank seiner exzellenten Tänzer. Der Ballettchef zieht vier saftige Solorollen aus dem Briefroman von Choderlos de Laclos (1741-1803), 1782 anonym herausgekommen, und rankt darum das Geschehen um die Marquise de Merteuil. Unterfüttert wird der Ablauf von Musiken Vivaldis, Händels und für die Produktion komponierten Stücken von Mark Polscher (geb. 1961). Gegenwart und Historie durchdringen sich absichtsvoll in der Musik.

Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau hat für Mannes die Fläche leer geräumt, hat sie mit einer Rampe über eine Hälfte des Orchestergrabens in die vordere Zuschauerreihe erweitert. An der Spitze, quasi auf dem Schoß des Publikums, vollziehen sich Kernmomente des Abends. Projektionen auf Wänden ermöglichen rasante, quasi filmische Szenenwechsel. Weiße Kostüme des Ensembles (Kostüme: Alexandra Schiess), stilisierte Barockröcke, Corsagen erzeugen eine eigentümlich zeitlose Atmosphäre, in der die Marquise ihre Fäden zieht. Mit dem Vicomte de Valmont schließt sie einen Pakt: Er soll die noch unschuldige Cécile vor deren Hochzeit mit einem Exliebhaber der Merteuil entjungfern und die tugendhafte Präsidentin de Tourvel verführen. Dafür winkt Valmont eine Liebesnacht mit der Marquise. Valmont erfüllt die Wünsche der Merteuil, sie verweigert jedoch die Erfüllung des Versprechens. Im Duell mit Merteuils aktuellem Liebhaber wird Valmont tödlich verwundet, vermag jedoch noch die kompromittierenden Briefe der Marquise an die Öffentlichkeit zu bringen. Damit ist sie gesellschaftlich vernichtet. Auf der Strecke bleibt auch Tourvel, Céciles Los erscheint ungewiss.

Mannes entwickelt das Geschehen aus den Begegnungen und Konfrontationen der Hauptpersonen, deren Antrieb allerdings ohne vorheriges sorgfältiges Lesen der Handlung im Programmheft auf der Bühne diffus ist. Sie sind durch die Kostümfarben in ihrem Grundcharakter klar gekennzeichnet. Cássia Lopes als Merteuil strahlt im intriganten Schwarz mit nackten, muskulösen Beinen und kurz gerocktem Bustier erotisch geladene Gefährlichkeit aus. Ihre suggestive Präsenz trägt auch über choreografisch dürre Momente, wenn etwa wiederholte hohe Battements die Inspiration ersetzen. Das Lavieren zwischen kühl geplanter Intrige und der Abhängigkeit von der Anerkennung der Gesellschaft, drückt Lopes mangels akzentuierter Bewegungen eher durch Blicke aus. In Dennis Piza als Valmont hat sie einen mehr als ebenbürtigen Partner. Piza, ebenfalls in Schwarz, verwandelt sich vom glatten Verführer zum Gescheiterten. Wenn Piza sich bei der Trennung von Tourvel windet und krümmt, wenn er im Duell mit Merteuils aktuellen Liebhaber, dem Fechtlehrer Dancency (Rubén Cabaleiro Campo), den Tod zu suchen scheint, erreicht er tragische Tiefe, weit über die technische Bewältigung der Rolle hinaus.

Als Madame Tourvel muss Karine Seneca, rot gewandet, erst so etwas wie ihre Tugend zeigen, quasi trockenes Brot ohne Geschmack. Zu furioser Leidenschaft läuft Seneca im Pas de deux mit Valmont auf, sie überwältigt den überraschten Verführer nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Seneca verwandelt fulminant die brave Frau in ein erotisches Weib. Ihre folgende Trauer gerät choreografisch zu plakativ, um tiefer zu rühren. Dieses Manko muss auch Catherine Franco als Cécile, selbstredend in weiß, ertragen, im ersten Pas de deux mit Valmont, der sie sich gefügig macht, indem er ihr Kleid vom Körper reißt. Barbusig, nur noch mit dem Slip und Stofffetzen bekleidet, liefert sich Franco vorn auf der Rampe rücksichtslos den brutalen Angriffen Valmonts aus – und heimst dafür spontanen Applaus ein. Hier bedient Mannes den Voyeurismus durch endlose Wiederholung des nackten Gleichen, ohne Gewinn in der Durchdringung der Szene zu erreichen. Warum sie sich nach dem heftigen Widerstand kurz darauf Valmont kokett hinter und neben einem weißen Vorhang ausliefert, wird trotz einer kurzen Flüsterszene mit der Merteuil nicht klar. Ebenso wenig wie nach einer ähnlichen Szene Merteuil-Valmont der Impuls einleuchtet, durch den der Vicomte die Tourvel Knall auf Fall verlässt. Ensembleszenen geben den Hintergrund, vor dem sich die Auseinandersetzungen verorten bis zum Schluss, als die Gesellschaft die Marquise ausstößt. Brüche im Körper, abgehackte Zuckungen im Oberkörper, plötzliches Abstürzen zeigen eine Gesellschaft im Zerfall.

Nach eher zähem Beginn verdichtet sich der Ablauf im 2.Akt, wird durchaus das Geflecht aus Machtgier und Ohnmacht, Erotik und Sex, Manipulation und Liebe sichtbar. Die Vielschichtigkeit der Romanvorlage wird nicht erreicht, die unterschiedlichen Perspektiven der Briefschreiber werden reduziert auf den eindimensionalen Blick des Choreografen. Mannes vermag es nicht, einigen Projektionen zum Trotz, mit seinem musikalisch durchaus feinfühligen, aber im Bewegungsmaterial meist konventionellen Spektrum der Choreografie in die Tiefe der Personen vorzudringen (Ausnahme: Valmont). Indem Mannes die Hauptrollen drei- bis vierfach besetzt, so dass in den folgenden Vorstellungen jeder mal drankommt, gibt er seinen Tänzern und Tänzerinnen reichlich lohnendes Futter zur weiteren Entwicklung: eine kluge, herausfordernde Ensemblepolitik.

Komponist Mark Polscher hat geschickt dichte kammermusikalische Stücke eingefügt, elektronische Farben beigemischt, mit drängendem Rhythmus treibende Elemente eingebaut. Das kleine Ensemble unter Leitung von Toshiaki Murakami spielt knackig engagiert, Monika Walerowicz singt mit warmen Mezzo die Arien Händels und Vivaldis. Dankenswerterweise sind die Kompositionen im Programmheft in der Reihenfolge aufgelistet. Jörg Mannes hat einen saftigen Reißer kreiert, den anzusehen sich schon wegen der Tänzer lohnt - trotz der aufgeführten Mängel.

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