Bournonville und Balanchine

Das Königliche Ballett Kopenhagen eröffnet das 30. Budapester Frühlingsfestival

Budapest, 20/03/2010

Es ist Frühling in Budapest und das sagt nicht nur der Kalender. Es ist Festival in Budapest, das kann man nicht übersehen. Performer trifft man in den Straßen, sie hantieren mit roten Stühlen, vor der Oper steht davon ein Riesenexemplar und es finden vergebliche Versuche statt, das Möbel zu besetzen. Muss man demzufolge um die Plätze kämpfen im reichen Programm des zehnten Jahrganges oder will man auf die Höhe der Qualität der Aufführungen hinweisen? Am Eröffnungsabend ist das repräsentative Opernhaus bis auf den letzten Platz besetzt, das Gastland des Jubiläumsfestivals ist Dänemark, die Gastgeschenke sind Konzerte und Aufführungen des Königlichen Balletts, und es kann gar nicht anders sein, zu Beginn wird „La Sylphide“ in der Fassung des Kopenhagener Hausgottes Auguste Bournonville gezeigt, dazu – und diese Kombination erweist sich als Glücksfall – kein Frühlingsopfer sondern eine lichtdurchflutete Frühlingsfeier mit George Balanchines „Symphony in C“ zur Musik von Georges Bizet.

Zunächst, wenn sich nach der Ouvertüre der Vorhang öffnet, hat man den Eindruck, hier habe sich seit 1836 nichts verändert, wenn die Sylphide, jenes leicht dahinschwebende Fantasiewesen im wadenlangen Tüllgewand mit der Seerosenkrone und den zarten durchscheinenden Flügelchen, den schlafenden jungen schottischen Bauern James an seinem Hochzeitsmorgen umtanzt. Der Eindruck täuscht. Blick und Ausdruck der gänzlich diesseitigen Tänzerin Susanne Grinder, deren besonders gut geführte Linien der Arme und die Kraft ihrer Zeichen mit den Händen zunächst alle Aufmerksamkeit binden, macht schnell klar, dass es möglich ist, der romantischen Geschichte eine zeitgemäße Deutung zu geben, ohne sie ihres historischen Charmes zu berauben. Zudem kann man nur bewundern, welche Kraft den global verständlichen Zeichen der von Bournonville veredelten Ballettpantomime innewohnt, jedenfalls, wenn sie so dezent und authentisch eingesetzt werden wie von den Tänzerinnen und Tänzern des Königlichen Balletts aus Kopenhagen.

Natürlich bedeuten die schottischen Elemente, die durch Loevenskiolds Musik und Bournonvilles strengere Fassung die die ältere Tanzvariante des Stoffes von Taglioni mit der Musik von Jean Schneitzhoeffer verdrängten, aber „La Sylphide“ einen Platz im Kanon der romantischen Ballette sicherten, die Gelegenheit zur Parade des Könnens einer Kompanie. Und die Dänen können. Allesamt beherrschen sie exzellent die rasche Abfolge der kleinen Schritte, die irrwitzigen Batterien kurz über dem Boden. Bei den konkurrierenden Solisten James, der im Traumwahn der Sylphide folgt, und Gurn, der auf die verlassene Braut Effie hofft, kommen die Sprungvarianten dazu, und da bringen die Gäste mit ihren Solisten Marcin Kupinski als James und Alexander Staeger als Gurn Festivalgeschenke erster Güte mit. Kupinski erweist sich auch im zweiten Teil, in den Variationen des Pas de deux, ganz im Banne der Sylphide, in den klassischen Linien, Drehungen und Sprüngen mit Susanne Grinder, als rundum glückliche Besetzung dieser Partie.

Dass man in Kopenhagen, wenn man zum Ballett will, die verblüffend flinke Technik Bournonvilles von Kindesbeinen an beherrschen muss, beweisen drei Paare und eine kleine Solistin des Nachwuchses in bester Übereinkunft mit dem Corps de ballet, den Solisten Camille Ruelykke Holst als Effie und Mette Bødtcher in der Charakterrolle der Madge als Wesen zwischen den Welten, an deren Vermischung der traumverlorene Bauernbursche im Schottenrock zugrunde geht.

Wie gut zu dieser Art der Romantik die aus Klang, Linien und Licht geschaffene romantische Stimmung passt, die Balanchines Choreografie zur Sinfonie in C von Bizet auszeichnet, 1947 für das Ballett der Pariser Oper kreiert, erwies sich mit der glücklichen Kombination beider Werke. Zudem konnten die Gäste hier noch einmal in den unterschiedlichen ersten drei Sätzen und dem dahin wirbelnden Finale, das alle vereint, die große Skala der Tugenden ihrer Solistinnen und Solisten vorstellen. Es macht den Charme und die Größe dieser Kompanie aus, dass sich technische Raffinessen niemals in den Vordergrund drängen, dass so wunderbare Künstler wie Gudrun Bojesen und Nehemiah Kish im verinnerlicht langsamen zweiten Satz der Sinfonie, oder Amy Watson und Gregory Dean im Tempo des ersten Satzes, immer den Eindruck vermitteln, Teil eines Ganzen zu sein. Ihnen, den Solisten Diana Cuni und Alban Lendorf im choreografisch raffiniert gesetzten dritten Satz und allen, gemeinsam mit Jodi Thomas und Sebastian Kloborg im fulminanten Finale, gelingt es die Dynamik der subversiven Steigerung dieses Werkes zu vermitteln.

Auf die Momente des Innehaltens, was die Ballerinen angeht gar des direkten Stillstandes in Bruchteilen der Zeit, müssen wir nicht verzichten. Balanchines Visionen von der Zweisamkeit der Individuen, wir sehen es mitunter an den gegenläufigen Bewegungen der Arme, können Ergänzungen und Abgrenzungen sein, sie können in die Apotheose gegenseitiger Erhöhung führen und in die momentane Glücksempfindung der Einsamkeit im Sprung, in der geschwinden Drehung. Der Gruppe halbsolistischer Paare, den Damen der Kompanie kommt es in besonderer Weise zu, allem, was der musikalischen Linie nachempfunden ist, eine weitere, hier höchst individuelle hinzuzufügen, was wie wir gerne wahrnehmen, weit mehr ist als Nachempfindung. Ungewöhnlich, aber angemessen: die Art des Budapester Publikums, seine Begeisterung zu zeigen. Man klatscht rhythmisch, nicht im bloßen Gleichklang, nein in dynamischer Steigerung, mit kräftig ansteigendem Tempo.

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