„La Sylphide“ beim Nationalballett in Prag

„La Sylphide“ beim Nationalballett in Prag

Romantik pur, exzellent getanzt

„La Sylphide“ beim Nationalballett in Prag

Das Prager Nationalballett lädt in den erotischen Märchenwald des Tanzes und präsentiert „La Sylphide“. Lässt sich die Romatik staubbfrei ins heute übertragen?

Prag, 15/05/2023

Eine besondere Stunde des klassisch-romantischen Balletts. Viel länger benötigt der Choreograf Johan Kobborg für seine Prager Fassung von „La Sylphide“ nach August Bournonvilles Kopenhagener Version von 1836 auch gar nicht. Herman Severin Løvenskiolds wird gespielt vom Orchester der Prager Staatsoper unter der Leitung von Piotr Staniszewski. Aber diese Stunde auf der von Martin Černý gebautenBühne mit Kostümen von Barbora Maleninská hat es in sich.

Historisch, ja, dennoch aber, gänzlich staubfrei und kraft eines solchen Ensembles so authentisch wie zeitgemäß. So vermittelt sich dieser hier verhandelte, romantische Grundkonflikt zwischen beschränkter, enger Wirklichkeit und erstrebenswerter, aber unsichtbarer Welt idealer Fantasie. Die Handlung spielt in einer Welt der Realität, in dieser lösen sich aber bald schon, vor allem Kraft des Tanzes, die Grenzen der Wahrnehmung auf. Der Tanz gibt jener märchenhaften Zerbrechlichkeit vor der Wirklichkeit flüchtender Fantasien Gestalt.

James der Schäfer will heiraten. Seine Braut Effi will es auch. Am nächsten Tag soll Hochzeit sein. Wir befinden uns im schottischen Hochland, als es dort noch Feen gab, von denen gerade dem Bräutigam eine Sylphide, eine Waldfee mit kleinen, allerliebsten Flügelchen, erscheint. Die Fee verliebt sich in den Schäfer, er in die Fee, aber auf die Braut will er dennoch nicht verzichten. Der flotte Kerl im Schottenrock dünkt sich ganz schlau. Er läuft zu einer Hexe und die flüstert der Braut zu, dass da noch ein anderes Wesen im Spiel ist. Das entsprechende Pas-de-Trois fehlt hier. Nach der Trauungszeremonie folgt James seiner Fee direkt in den Wald folgt – ein Weg in den Tod. Die Sylphide stirbt in seinen Armen, weil er das Geschöpf der Fantasie ins menschliche Maß zwingt, sterblich macht. Eine romantische Allegorie im Gewand des Märchens. Optisch und tänzerisch geht es auch aus der Welt des Realen im rustikalen Raum des ersten Bildes mit den Tänzen lebensfroher Farbigkeit, im zweiten Teil in die nächtliche, mondbeglänzte, weiße Szenerie erdentrückter Schwerelosigkeit jener weißen Bilder, die fortan die Ästhetik des klassischen Balletts prägen werden.

Für diese Prager Premiere, stürmisch bejubelt vom begeisterten Publikum in der Prager Staatsoper, kommen beste Voraussetzungen zueinander. Da sind die Tänzerinnen und Tänzer in den so raffinierten wie anspruchsvollen Bildern der Gruppen: Farbenfroh, fröhlich, ausgelassen Frauen, Männer, Kinder, im ersten Bild. In der Poesie weißer Romantik die schwebenden Tänzerinnen in geradezu magischer Geometrie im Dialog der Gruppe mit den drei Solistinnen Victoria Victory Gonzalez, Martelle Cho und Olga Begoliubskaja.

Und dazu ein außergewöhnliches wie grandioses Quintett der Solistinnen und Solisten. Sie beherrschen die hohen Anforderungen klassischer Techniken, aber dieses Können wird keinen Augenblick zur Demonstration, es ordnet sich stets der szenisch bedingten, individuellen Kunst des inhaltlich und persönlich begründeten Ausdrucks unter. Dies gelingt sogar in den sicher historisch anzusehenden Momenten pantomimischer Vorgaben wortloser Kommunikation mit charmantem Augenzwinkern.

In der Titelrolle ist Alina Nanu von höchster technischer Brillanz. Keine Frage. Aber ihr „Schweben“, ihr abhebender Tanz grandioser Spitzentechnik, löst sich nie von den fantastischen Vorgaben dieser Handlung. Vor allem nie von denen der Wahrnehmung und des egoistischen Missverständnisses des Schäfers James.

Paul Irmatov gelingt es in dieser widersprüchlichen Rolle tanzend jene innere Zerrissenheit sichtbar zu machen, jenen schmalen Grat zwischen beinahe knabenhafter Unschuld und männlicher Besitzgier tänzerisch zu gehen. Das ist seine Kunst tänzerischer Darstellung bei bester Technik und vor allem uneingeschränktem Mut zu persönlicher Verletzlichkeit.

Irina Burduja ist die verlassene Braut Effi. Wir sind im Märchen, es gibt jemanden, der für sie die Arme ausbreitet. So wie dies der Tänzer Matěj Šust, jedenfalls in charmanter, tänzerischer und darstellerischer Kunst in, der Rolle des Gurn macht, kann man der Braut Effi nur gratulieren.

Und wie tanzt man eine Hexe, die dieses so wirklichkeitsnahe Traumspiel beendet? Die Prager Tänzerin Tereza Podařilová vermag es in dieser Rolle einer dunklen Gestalt, die vielleicht aber doch dem Licht der Tatsachen näher ist als man meinen könnte, so richtig zu glänzen.

Das ist eine wunderbare Story aus dem erotischen Märchenwald und nur der Tanz scheint die angemessenen Mittel des Ausdrucks zu besitzen, Verzauberung und Verwirrung, Traum und Wirklichkeit, den Widerschein des Unbegreiflichen Assoziationen und Bilder zu geben. Ein Ausflug in die Vergangenheit der geradewegs in die Gegenwart führt.
 

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