New Style Bournonville

Johan Kobborgs „La Sylphide“ beim Zürcher Ballett

oe
Zürich, 20/12/2008

Gleich zweimal „La Sylphide“ jetzt kurz hintereinander. In Hamburg die Taglioni/Lacotte-Version – in Zürich à la Bournonville von Johan Kobborg. In Stuttgart (das die Peter Schaufuss-Variante im Repertoire hat) habe ich mir beide Versionen nochmals angesehen: DVD macht's möglich. Die Pariser Einstudierung von Lacotte mit der Kompanie der Opéra – die Kopenhagener in einer früheren Produktion von Hans Brenaa. Der Vergleich geht eindeutig zugunsten der dramatisch-theatralischeren Version von Kopenhagen aus – ich halte sie auch für die musikalischere. Hamburg habe ich (noch) nicht gesehen – vielleicht später (die Kritiken waren enthusiastisch – aus Hamburg hat sich sogar die Sylphide höchstpersönlich per FAZ zu Worte gemeldet).

Zürich hat sich also für Kobborg entschieden – in Kopenhagen als Tänzer Solist (die höchste Klasse, die es dort gibt), seit ein paar Jahren Principal beim Royal Ballet – mit ausgepichter „La Sylphide“-Erfahrung. Er ist also ein Mann der Nach-Brenaa-Flindt-Schaufuss-Generation. Was mich zunächst verblüfft, ist, dass Spoerli es wagt, unmittelbar nach seiner höchst erfolgreichen Forsythe-„Artifact“-Produktion diesen ersten aller romantischen Klassiker anzusetzen: das ist ja wie mit der Faust mitten in die Weichteile! Und das mit nicht weniger Erfolg: die Samstagvorstellung, die x-te nach der Premiere am 17. Oktober, vor bumsvollem Haus. Und die Zürcher tanzen ihren Bournonville so professionell, so kompetent, mit so viel Sensibilität für den so ganz anderen Stil, wie den Forsythe. Phänomenal!

Kobborg hat zahlreiche Änderungen gegenüber dem traditionellen Bournonville vorgenommen, die er im Interview ausführlich begründet hat. Sie kommen der Klarheit der Story, ihrem Hintergrund und ihrer theatralischen Zugkraft eindeutig zugute und werten die einzelnen Figuren auf – nicht zuletzt durch zahllose pantomimische Details, die die Zürcher mit größter Selbstverständlichkeit absolvieren. Und, was mir besonders auffiel: Kobborg reklamiert seinen Bournonville eindeutig als den musikalischeren Choreograf gegenüber dem Taglioni von Lacotte. Davon profitiert eindeutig die Rolle des James-Rivalen Gurn, als der an diesem Abend der Italiener Valentino Zucchetti sich als ein ansteckend fröhlicher Springsinsfeld erweist. Er ist vermutlich der stimmigere künftige Ehemann der Effie von Galina Mihylova als der melancholischere Arman Grigoryan, der seinem James eine ausgesprochen nordische Note leiht.

Übrigens, was mir sonst noch aufgefallen ist: wie viele der namentlich genannten Tänzer aus dem Junior-Ballett hervorgegangen sind: das erweist sich als ein außerordentlich fruchtbarer Nährboden für den Tänzernachwuchs. Zürichs Prima Yen Han ist die Sylphide – ebenso wenig eine wiedergeborene Marie Taglioni wie eine Lucile Grahn – ein sehr aparter Typ, immer etwas distanziert, misstrauisch ihren eigenen Gefühlen gegenüber, zart und fragil, mit raschen Füßen, aber ich wünschte mir von ihr ein flüssigeres Port de bras. Grigoryan, Zürichs James, ist Armenier mit Kiew-Background – er gibt der Rolle einen Hauch von Hamlet-Nachdenklichkeit, will raus aus dem ihm zu engen bürgerlichen Ambiente. Als Madge könnte Sarah-Jane Brodbeck mit ihrer Equipe glatt aus einer „Macbeth“-Inszenierung kommen. Insgesamt tanzen die Zürcher als gälte es, eine Schweizer-dänische Entente cordiale zu bekräftigen. Ein prächtiger „Nussknacker“-Weihnachtsersatz – und das, wie gesagt: nach ihrem ganz und gar erstaunlichen Forsythe-„Artifact“!

 

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