Globale Ballettpartnerschaft im Zeitalter der Romantik

Zwei neue DVDs: „La Sylphide“ aus Paris und „Sylfiden“ aus Kopenhagen

oe
Stuttgart, 15/03/2006

Wäre es ein Fußballspiel, hieße das Ergebnis wohl Drei zu Eins für Dänemark. Es handelt sich aber um „La Sylphide“, die Geburtsstunde des romantischen Balletts. Einmal in einer der Pariser Uraufführungsversion von 1832 angenäherten Produktion, die Pierre Lacotte zuerst 1971 an der Opéra herausgebracht hat (hier nun in einer TV und Video Aufzeichnung aus dem Jahr 2004, mit den Étoiles Aurélie Dupont als Sylphide und Mathieu Ganio als James sowie Mélanie Huurel als Effy, Emmanuel Hoff als Gurn und Jean-Marie Didière als Hexe Madge, dem Corps de ballet und Orchester der Opéra National de Paris unter der Leitung von Ermanno Florio, auf DVD, TDK DVW-BLSYL, 127', mit einem Gespräch von Lacotte und Brigitte Lefèvre „Retrouver La Sylphide“ und kleinem Textheft).

Und zum zweiten um „Sylfiden“ in der Fassung, die August Bournonville, schwer beeindruckt von der Pariser Aufführung, 1836 in Kopenhagen kreiert hat, und die seither dort quasi ununterbrochen auf dem Spielplan steht. Hier nun in der von Hans Breena einstudierten, von Henning Kronstam und Arlette Weinreich 1988 fürs Fernsehen produzierten und jetzt auf DVD überspielten Version, mit Lis Jeppesen als Sylphide und Nikolaj Hübbe als James, Ann-Kristin Hauge als Effy und Morten Munksdorf als Gurn sowie Sorella Englund als Hexe Madge, dem Königlich Dänischen Ballett und Orchester unter der Leitung von Poul Jørgensen als Dirigent, auf Warner Music Vision, 50-51011-2322-2-0, 62', mit äußerst dürftigem Textblatt).

Die französische Version ist also mehr als doppelt so lang wie die dänische und das liegt nicht nur an dem informativen Gespräch, sondern vor allem an dem durch ein Grand Divertissement der Sylphiden wesentlich erweiterten zweiten Akt. Wenn im Textheft der Pariser Aufnahme (französisch, englisch und deutsch) über „Die Geburt des romantischen Balletts“ behauptet wird, dass Bournonvilles Inszenierung „in puncto Musik, Zuschnitt und Choreografie dem Vergleich mit dem Original nicht standhalten konnte“, so kann ich dem überhaupt nicht beipflichten. Es stimmt zwar, dass „La Sylphide“ über hundert Jahre lang nicht im Repertoire der Opéra war – darüber ist aber vergessen worden, dass „La Sylphide“ (nach Taglioni, rekonstruiert von Roland Petit und Boris Kochno und inszeniert von Victor Gsovsky) bereits 1948 von den Ballets des Champs-Elysées in Paris zur Aufführung gelangte (1951 dann von Gsovsky auch im Münchner Prinzregenten(-Ersatz-)Theater mit Irène Skorik und Heino Hallhuber (O. F. Regner in seinem 1962 erschienenen „Ballettbuch“: „Rekonstruierte mit größtem Erfolg ‚La Sylphide‘, das Urbild des Romantischen Balletts“. Gelegentlich darf ja wohl mal daran erinnert werden, dass es auch so etwas wie eine deutsche Ballettgeschichte gibt).

Die Lacotte-Version mag die ballettarchäologische Penibilität für sich in Anspruch nehmen können, und sie steht vielleicht stilistisch der Taglionischen Urversion näher als Bournonville, der nie behauptet hat, das Pariser Model übernommen zu haben. Bournonville ist aber dramatisch-theatralisch viel zügiger, auch farbiger durch seine stärkere Einbeziehung von schottischen Folkloreelementen und er hat die viel bessere Musik (weil sich Kopenhagen das Pariser Original von Schneitzhoeffer nicht leisten konnte, ließ man sich eine neue Musik vom gerade mal zwanzig Jahre alten Herman Severin von Løvenskiold komponieren, die viel pointierter auf die jeweilige dramatische Situation eingeht und die einzelnen Nummern tonartlich besser aneinander bindet). Ich habe den Eindruck, dass Bournonville als Choreograf es durchaus mit Filippo Taglioni aufnehmen konnte, dass er aber als Regisseur mit einem wesentlich theatralischeren Instinkt begabt war.

Was die Pariser DVD der dänischen (übrigens vom bewährten Thomas Grimm produzierten) voraushat, sind die hübschen Maschineneffekte der durch die Luft segelnden Sylphiden. Aurélie Dupont ist die stilistisch makellose, aber auch ein bisschen sterile französische Sylphide – mit dem gerade zwanzigjährigen Mathieu Ganio als doch noch sehr unbedarften James, der nur auf seine Soli zu warten scheint, dann aber loslegt, dass einem das Herz im Leibe lacht. Ordentlich das diesseitigere Paar von Mélanie Hurel und Emmanuel Hoff als Effie und Gurn – geradezu unerträglich die pantomimische Stummfilmklamotte von Jean-Marie Didière als Hexe Madge. Lis Jeppesen ist die sehr anrührende, wunderbar reine und frische dänische Sylphide und Nikolaj Hübbe als ihr Partner James sehr viel reifer als Ganio, ein Mann, hin und her gerissen zwischen seiner Verankerung im Diesseits und seiner Sehnsucht nach der anderen Dimension, ein formidabler Techniker. Mit ihm wird aus der Féerie ein wirkliches Drama. Exzellent dagegen gesetzt das realistischere Paar von Ann-Kristin Hauge und Morten Munksdorf als Effy und Gurn und, um Klassen der outrierten französischen Interpretation überlegen, Sorella Englund als Hexe Madge.

Insgesamt stehen sich hier also der sehr bemühte und gewissenhafte Versuch einer möglichst getreuen Annäherung an das Original und eine Aufführung gegenüber, die sich auf eine ungebrochene Tradition über mehr als hundertfünfzig Jahre hinweg stützt und die nichts an theatralischer Effizienz eingebüßt hat. Als Ballett-Match Frankreich kontra Dänemark also, wie gesagt, Drei zu Eins für Dänemark! Einen interessanten Vergleich beider Versionen liefert übrigens Ivor Guest im Oktober-Heft 2005 der englischen Dancing Times.

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