Bournonville im Nonstop-Verfahren

„Napoli“, „La Sylphide“ und ein gigantisches Rahmenprogramm

oe
Kopenhagen, 06/06/2005

Zu schade, dass der „Napoli“-Report offenbar verlorengegangen ist! Denn es war eine Pfundsvorstellung: Bournonville ganz in leuchtendem Es-Dur erstrahlend (es ist DIE Dänen-Tonart): Lebensfreude pur aus allen Poren, die Tänzer offenbar alle mit Dänen-Ecstasy gedopt, das Publikum jauchzend vor Lust! Und die Deutschen? Die stutzten natürlich jedes Mal, wenn wieder das leitmotivische „O du fröhliche“ erklingt, selbst in der Blauen Grotte von Capri. Es fungiert als quasi offizielle Segensspendung, vom Mönch Ambrosio (den Papst Benedict XVI. eigens für diese Vorstellung nach Kopenhagen delegiert zu haben schien), der es als eine Art Wunderwaffe gegen alle Unbill zelebriert.

Denn es geht in dieser neapolitanischen Liebeskomödie mit dem Fischer Gennaro (Thomas Lund: als wenn er bei den Fischen das Fliegen gelernt hätte) und der liebreizenden Teresina (Tina Højlund, die ihre Spitzenarabesken hält und hält und hält ...) nicht nur überaus humorvoll, sondern auch recht fromm zu. So dass man direkt empfehlen möchte, „Napoli“ als obligatorischen Ballettbeitrag zum Kirchentag zu deklarieren. Doch nun ist Montag, und die Woche begann mit einem Bournonville-Nonstop-Marathon. Das kann ja heiter werden! Morgens um acht die Kinderklasse der Bournonville-Schule. Und gleich danach die Exkursion nach Fredensburg, wo Bournonville und seine große Familie ihr Domizil hatten.

Da kam man aus dem Staunen über dieses Allround-Genie nicht heraus; treusorgender Familienvater und väterlicher Lehrer seiner Schüler, Ballettmeister, Choreograf, Musiker (der nicht nur virtuos die Violine traktierte, sondern auch komponierte), auch Zeichner und Maler und Künstlerfreund, der ständig Gäste in seinem Hause beherbergte. Anschließend ein Lunch in seinem Garten, wo man sich den Rotwein vom französischen Bournonville-Weingut als Glühwein gewünscht hätte, denn diese Temperaturen ... Auf ging‘s auch schon zum Friedhof, zum liebevoll gepflegten Grab. Dann folgte die tolle Fahrt auf der Straße, die allein dem König vorbehalten war, die Goldküste Kopenhagens entlang und gleich ins funkelnagelneue Opernhaus, einem riesigen Koloss, am Hafen gelegen, doch architektonisch weit entfernt von den Wundern von Sydney und dem Konzerthaus in Luzern.

Immerhin ein Haus, das die tollsten Möglichkeiten bietet, gerade auch fürs Ballett, und wo Neumeiers „The Little Mermaid“ kürzlich uraufgeführt wurde – ein sehr durchwachsener Erfolg, wie man so hört. Kaum raus aus dem Bus, ging‘s schon wieder weiter zur Ausstellung „Bournonville – The European“, und das stimmt ja auch wirklich, denn er war sozusagen der geborene Globalist avant la lettre. Dann war‘s auch schon sechs, und es hieß: Auf zur Montags-Klasse der Bournonville-Schule, die zielgerichtet auf die „Grande Cabriole Fouéttée Sautée“ zusteuert. Gerade noch Zeit für eine Kaffeepause, denn schon hieß es wieder: Auf zur nächsten Station der Bournonville-Weltreise, ins schottische Hochland von „La Sylphide“ – wie zum Beweis für Bournonvilles Europäertum, denn er hatte das Ballett ja in Paris kennengelernt und beeilte sich danach, es nach Kopenhagen zu importieren – in eigener Version, versteht sich.

Und so steht es denn als „Sylfiden“ seit seiner Premiere 1836 ununterbrochen auf dem Programm, inzwischen in der 783. Vorstellung. Zuletzt renoviert vor zwei Jahren von Nikolaj Hübbe und Anne Marie Vessel Schlueter, mit neuen Dekors von Mikhael Melbye, wirkte es an diesem Abend ziemlich kühl und routiniert. Da habe ich seit meinen ersten Begegnungen mit Margarethe Schanne und Erik Bruhn in den Hauptrollen (vor etwa fünfzig Jahren) wesentlich stimmungsträchtigere, romantisch versponnenere Aufführungen in der Erinnerung. Ihnen gegenüber wirkten Gudrun Bojesen und Thomas Lund irgendwie schmalspurig – redlich, ja, und auch nobel, aber doch ohne das spezielle Bournonville-Flavour, durch das uns dieser Romantik-Klassiker ans Herz gewachsen ist. Auch in Kopenhagen ist eben nicht jede Bournonville-Vorstellung ein Festakt. Diesmal war‘s eher der Bournonville-Alltag. Aber vielleicht war‘s ja auch meine Total-Erschöpfung nach diesem über zehnstündigen Bournonville-Marathon, die diesen Eindruck entstehen ließ.

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