Nach Napoli via Kopenhagen mit Petticoat und Tarantella

In Dänemark verlegt das Königliche Ballett seinen Klassiker in die fünfziger Jahre

Kopenhagen, 13/11/2009

Kopenhagen im November. Hier herrscht Herbstwetter, dunkel, nass, kalt und windig, jedes Klischee wird bedient. Man flüchtet ins Theater, ins alte Opernhaus, „Napoli“ wird hier gegeben, Premiere des Dauerbrenners beim Königlichen Balletts, seit der Uraufführung 1842 über 800 Mal gespielt auf diesen Brettern, die die Welt bedeuten. Das Haus ist ausverkauft, man will dabei sein, wenn der neue Ballettchef Nikolaj Hübbe gemeinsam mit Sorella Englund diesen romantischen getanzten Traum des Südens in das neapolitanische Ambiente der frühen 50er Jahre verlegt. Für den zweiten Akt ist eine eigene Choreografie zu speziell komponierter Musik von Louise Alenius angekündigt. Die dänische Komponistin ist fast 170 Jahre jünger ist als ihre Kollegen Edvard Helsted, Holger Simon Pauli und Hans Christian Lumbye, von denen die Musik des Bournonville-Klassikers stammt. Englund und Hübbe haben selbst die Hauptpartien hier getanzt. Sie zeigt ein Foto im Foyer als Teresina 1979, er ist in ausgesprochen eleganter Sprunghaltung in einer Aufführung des Jahres 1990 zu sehen. Das andernorts so gut wie gar nie, höchstens in Aufführungen des dritten Aktes zu erlebende Ballett von August Bournonville hat hier besonders hohen Wert, das vernimmt man mit den ersten Takten des Vorspiels. Graham Bond erweist sich am Pult des Königlichen Orchesters als versierter Ballettdirigent mit wacher Verbindung zur Bühne, zu den Bewegungen. Verzögerungen vermag er mitzufühlen, um sofort darauf Akzente zu setzen und das Temperament zu beflügeln. Er scheut sich nicht, das Orchester schmettern zu lassen, wenn nötig auch dem Sentiment, dem Klischee Raum zu geben, aber die Eleganz bleibt. Musik, die einem Zweck geschuldet ist, muss eben ganz und gar nicht wie öde Gebrauchsmusik klingen.

Und dann geht es im Flug durch dichte Wolken im Zoom, ab in den Süden. „Napoli“ prangt in Filmtitellettern auf dem Himmel und schon ist der Blick frei auf die Piazza am Meer, zwischen Hotel Mediterràneo und dem Altar der Madonnen, direkt auf die Lichter am Ufer der Bucht und den Vesuv. Matrosen, Fischer, Händler, Kinder, der Priester, alle in der milden Abendstimmung eines Bilderbuchsüdens der 50er Jahre, gut getroffen in den gedeckten und gebrochenen Farben von Maja Ravn, im Lichtdesign Mikki Kuntus, von der Regie belebt mit liebevoll gezeichneten Menschen aller Altersgruppen, denen allesamt glaubwürdige Charakteristika eignen. So wird dieses erste Genrebild, das der Pantomime mehr Raum gibt als dem Tanz, hier nicht zur Falle, sondern es entfaltet sich der Charme dieser Kunst, die nur bei höchstem Anspruch die überzeugende Naivität erlangen kann. Das schöne Bild ist Trug, ein Unwetter zieht auf, es grollt im Sound des Orchester wie von Rossinis Gnaden. Gerade verlobt, wird das junge Paar – der Fischer Gennaro und Teresina, einzige Tochter der Witwe Veronika - schon wieder getrennt: Im Übermut fahren sie aufs Meer, das Boot kentert, ihn spült die See an Land, sie bleibt verschollen. Immerhin konnten Ulrik Birkkjær und Gitte Lindstrøm im verliebten Duett schon etliches zeigen von ihrer Tanzkunst, gepaart mit Natürlichkeit des Ausdrucks, beäugt von Louise Midjord als charakterstarker Mutter. Die Tänze des Festes, Ballabile mit sechs Damen und sechs Herren, die Schaustellerszene und der verrückte, schräge Travestie-Auftritt Paul-Erik Hesselkildes als Straßensängerin wecken Lust und Laune für den weiteren Verlauf des Abends. Dank wundertätiger Segnungen der zwischen Engel, Ordensfrau und Madonna changierenden Gudrun Bojesen stürzt sich der verzweifelte Gennaro nicht ins Messer, sondern ins Meer, tief hinab, bei der blauen Grotte.

Wir tauchen mit. Tief geht es hinunter in einem faszinierenden Spiel aus Farben, Licht und Klängen. Jetzt im Filmsound von Louise Alenius, zunächst impressionistisches Flirren, geflüsterte Collagen ferner Stimmen, im Verlauf der Dramatik des zweiten Aktes wird die Musik dann rhythmischer, kantig, auch brutal, ehe sie am Ende aufsteigend überleitet in die Stimmung des Originals. Tänzerisch gelingt hier eine starke Szene. Jean-Lucien Massot gibt den Meergeist Golfo, dessen Kraft die „abgetauchte“ Teresina fasziniert gegenüber steht. Willig taucht sie ein in die fremde Welt der Najaden. Erst die Wundermacht eines geweihten Amuletts und der Musik, dank derer der ihr nachgetauchte Gennaro ihre Erinnerung belebt und selbst den Zorn der Meerwesen besänftigt, lässt sie gemeinsam mit dem Geliebten auftauchen. Da sind drei starke Tanzpersönlichkeiten auf dem Grund des Meeres zusammengekommen und können in der Choreografie von Englund und Hübbe ihre klassischen Tugenden mit denen der Neoklassik und des zeitgemäßen Ausdrucksrepertoires verbinden. Am Ende des Abends wird man wissen, wie tief sich die beiden Künstler mit ihrer ausgezeichneten Kompanie hineinbegeben haben in den Geist Bournonvilles und dass gerade dieser fantastische Ausflug kraft der Entfernung in Musik und Bewegung die eigentliche Hommage an den Meister ist. Dessen Kunst, für die die Dänen so berühmt sind, kommt dann im dritten Akt am schönsten zur Geltung, bei der wunderbaren Errettung der Liebenden und der Versöhnung aller Streitenden. Kein Wunder, möchte man meinen, im Land der Heiligen und Narren, der Musik, des guten Essens und Trinkens – und, wie man in Kopenhagen erleben kann, des Tanzes. Der nimmt in den ausgelassenen Varianten der Tarantella seinen atemberaubenden Lauf, in den Allegro-Passagen der sprungseligen Bournonville-Technik für flinke Beine, knapp über dem Boden in Batterien, schneller als der Blick erlaubt, in der Virtuosität der Tänzer. Ein funkensprühendes Fest der Sinne, Irrsinn und Lebenswitz, Tanz für den Tanz und einhelliger Jubel für diese neapolitanische Verzauberung in Kopenhagen. Wo gibt es das sonst so? Am Ende der Premiere wird Ulrik Birkkjær vom Solisten zum Solotänzer befördert. Einen Tag später, in der zweiten Vorstellung, schlägt die Stunde der Debütanten. Wieder werden die Solorollen und der Pas de six im dritten Akt frappierend gut getanzt, überhaupt besticht die Stärke der Kompanie. Amy Watson gibt ihr bejubeltes Debüt als Teresina und Alexander Stæger aus dem Corps de ballet ist ein wunderbar jungenhafter Gennaro.

www.kglteater.dk

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