11. Kongress für Tanzmedizin 2010 in Frankfurt – Teil I

Am Drehpunkt der Bewegung

Frankfurt, 03/06/2010

Rund zweihundert Teilnehmer trafen sich in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main beim 11. Kongress für Tanzmedizin. Zwei Drittel der internationalen Teilnehmer waren Ärzte, Therapeuten und Tanzpädagogen – einschließlich der Referenten. Professionelle Tänzer und Studenten zählten zum weiteren Drittel der Teilnehmer.

So führte der Kongress zurück an den Ort, an dem sich tamed vor dreizehn Jahren gründete und an dem bereits vor zehn Jahren das 3. Symposion für Tanzmedizin stattfand. „Am Drehpunkt der Bewegung“ thematisierte die vielen Vorträge und Workshops zu Bewegung und Beweglichkeit, zu den Gelenken und den Anforderungen an diese.

tamed organisierte mit vielen freiwilligen Helfern den Kongress hervorragend: Außer dem Plenum waren sieben Säle für die Workshops vorhanden, im Foyer eine tanzspezifische Ausstellung, sowie die Cafeteria. Jeder Teilnehmer erhielt eine umfangreiche Kongressmappe mit den Abstracts zu Vorträgen und Workshops, einschließlich einer Teilnehmerliste.

Die Eröffnungsveranstaltung begann mit einem Vortrag von Herrn Professor Dieter Heitkamp, Direktor des Ausbildungsbereichs Zeitgenössischer und Klassischer Tanz an der Hochschule in Frankfurt. „Am Drehpunkt der Bewegung erweist sich als ein anregender Titel für den 11. tamed Kongress. Er löst sofort Bilder aus, reizt zu Assoziationen, gibt Denkanstöße, bietet eine flüssig schlüssige Überleitung zu den Schwerpunktthemen Gelenke und Beweglichkeit und viele Ansatzpunkte für die pädagogische Vermittlung und Umsetzung von tanzmedizinischen Erkenntnissen in der Tanzpraxis.“

Auf der Bühne einige Tanzstudenten der Hochschule in Bewegungen zu den Worten Heitkamps, sowie die Visualisierung einer Roten Karte für die Bildungspolitik der Hessischen Landesregierung. Weder der Referent noch einer der Anwesenden ahnte in diesem Moment, dass sich das Problem für die Zukunft möglich durch die überraschende Bekanntgabe eines Rücktritts des hessischen „Sympathie-Trägers“ Roland Koch lösen könnte. Ob tatsächlich eine Lösung der hessischen Bildungsprobleme möglich sein wird oder diese nur an seinen Nachfolger, einen angeschlagenen Minister und engen Parteifreund Kochs, weiter gegeben werden, wird die Zukunft zeigen.

Den Auftakt zum wissenschaftlichen Teil des Kongresses bildeten die Vorträge von Herrn Dr. Boni Rietveld, Den Haag: „Zum Tanzen geboren – Gelenkhypermobilität bei Tänzern“, ein Vortrag im Kontext zu seinem Workshop, der hier später behandelt wird, sowie der Vortrag der tamed -Vorstandsvorsitzenden und Tanzmedizinerin Frau Dr. Liane Simmel, München: „Die goldene Mitte – Hypermobilität und ihr Einfluss auf die Propriozeption“.

Frau Dr. Simmel, auch Dozentin für Tanzmedizin an der Palucca Hochschule Dresden, untersuchte dort Tanzstudenten und -studentinnen verschiedener Trainingsstufen mit den Schwerpunkten Klassischer Tanz und zeitgenössische Tanztechnik in den Relationen von Gelenkbeweglichkeit, Hypermobilität und Propriozeption. Es ist die Crux des Balletts, dass hypermobile Tänzer durch ihre kongenitale Veranlagung selektioniert und für diesen Beruf bevorzugt sind, andererseits aber auch einem sehr hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt sind.

Die Bevorzugung der Tänzer mit hypermobilen Gelenken beruht auf der ästhetischen Vorstellung einer schöneren „Linie“, maximal beweglichen Hüftgelenken und überstreckbaren Knien. Und sie benötigen einen geringeren Kraftaufwand, um gewünschte Positionen einzunehmen, besitzen eine höhere Toleranz für passives Dehnen. Eine große ROM (Range of Motion) oder Bewegungsamplitude ist für den Tanz wichtig und gern gesehen. Dagegen stehen die Probleme, die durch ein JHS (Joint Hypermobility Syndrome) entstehen: Mehr als doppelt so großes Risiko einer Sehnenverletzung, eine verzögerte Heilung und dadurch bedingt eine verletzungsbedingte Tanzpause von mehr als sechs Wochen, sowie eine Überbelastung von Gelenkbändern und –kapseln. Die Gelenkbänder sind der Sitz sensorischer Organe, der sogenannten Propriozeptoren, die die Wahrnehmung von Stellung und Bewegung des Körpers im Raum an das Gehirn vermitteln. Deshalb sind durch Verletzungen der Gelenke, besonders von Kapsel- und Bandstrukturen, auch die Propriozeptoren beschädigt.

Die Untersuchungen in Dresden ergaben, dass eine Hypermobilität keinen Einfluss hat auf die Propriozeption der Arme, dagegen aber auf die der Beine. Je größer die Hypermobilität, desto schlechter die Propriozeption Bein. So ist bekannt, dass hypermobile Tänzer Probleme mit ihrer Balance haben. Frau Dr. Simmel stellte auch fest, dass die Hypermobilität einen Einfluss hat auf die Differenz von passiver zu aktiver Beinhöhe, z.B. bei einem à la Seconde. Daraus resultiert: Je kleiner die Differenz, desto besser der Schutz vor Verletzungen. Also besser Kräftigung statt Dehnung!
 

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