Zwischen Alptraum und Ritual

Wim Vandekeybus' neue Performance für die RuhrTriennale

Essen, 05/09/2009

Die „Creation 2009“ von Wim Vandekeybus „nieuwZwart“ (Neues Schwarz) trifft das Leitmotiv der dritten Folge des Festivals RuhrTriennale, nach „Urmomenten“ menschlicher Existenz zu graben. Zwar geht es Vandekeybus – abweichend von der Definition des neuen Festivalleiters Willy Decker - nicht um die Wurzeln des Religiösen. Aber er vereinnahmt durchaus in dessen Sinn einen „scheintoten Giganten“ der Industriekultur, das monumentale Waschkauen-Gebäude auf der Essener Zeche Zollverein (wo das tanzhaus „pact zollverein“ beheimatet ist), mit seiner überbordend energiegeladenen Performance aus Musik, Poesie und Bewegung, so dass es vibriert, als sollte es wachgerüttelt werden.

Zwischen Alptraum und Alltag pendeln die Szenen, zwischen Ritual und Realität pulsieren die Bewegungsmuster der sieben Tänzer: Nackte Körper zucken und zittern im nächtlichem Zwielicht. Gestalten huschen und schreiten über raschelndes Laub. Rasant wechseln die Tempi von Stillstand und Zeitlupe bis zu wildem Hip-Hop, Breakdance, akrobatischen Formationen und ekstatischem Voodootanz. Sich dem faszinierenden Sog dieser stupenden Körperkraft und -virtuosität, der Poesie der Texte und dem Wechselbad aus zarten Lyrismen und ohrenbetäubendem Klangchaos zu entziehen ist kaum möglich.

Vor Beginn werden an der Zuschauertribüne Ohrstöpsel verteilt – denn es werde sehr laut werden, heißt es. Auf einer frei schwebenden Plattform sieht man schon die drei Musiker sitzen, zwei E-Gitarristen und einen Schlagzeuger. Kaum hörbar zirpt zunächst Komponist Mauro Pawlowski kaum vernehmbare Melodien. Erst Minuten nach Beginn dröhnt, klirrt und scheppert es, wenn die Performerin Kylie Walters die Passage aus dem Poem des Belgiers Peter Verhelst über die mühselige Lebenswanderung auf der Suche nach einem neuen Glück rezitiert: „.... obwohl wir manchmal in Ohnmacht fielen und alles fiel mit uns, der niederdonnernde Spiegel von einer Wand auf einen Schrein aus Kristall....“. Vandekeybus' neue Kreation ist ein gesamtkünstlerisches Meisterwerk, bei dem alle Elemente – Tanz, Musik, Text, Licht, Klänge (wie das Rascheln von Laub und Silberfolien-Kostümen) eine emotionsgeladene Einheit bilden, um das Konterfei einer gequälten Seele, eines Lebenskampfes zu zeichnen.

Zärtliche Momente in den menschlichen Begegnungen sind selten, Aggression und Brutalität überwiegen. Heutige Realitäten, Chaos und Ordnung hat Vandekeybus alptraumartig auf die Tanzbühne gebracht. Eine gewaltige Anstrengung wird den Zuschauern während der pausenlosen, 90-minütigen Performance abverlangt, sodass der finale Applaus bei der Premiere zunächst eher erschöpft einsetzte, bevor er sich zu orkanartigen Ovationen steigerte.

Letzte Vorstellung der Deutschen Erstaufführung auf pact zollverein, Essen-Katernberg: heute (5.9.09), 20 Uhr Restkarten: 0201-2894700.

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