Postmoderne entdeckt Hölderlin

Richard Siegals multimediale Tanzperformance „Homo Ludens“ im Medientheater des ZKM Karlsruhe

Karlsruhe, 17/02/2009

Sieben Jahre lang hat der Amerikaner Richard Siegal als Solist in William Forsythes Frankfurter Kompanie getanzt. Seit fünf Jahren verteidigt er seinen Ruf als herausragender Tänzer-Performer mit Werken der eigenen Produktionsstätte, genannt The Bakery. "Homo ludens" titelt das jüngste Resultat der experimentellen Bäckerei, uraufgeführt im Medientheater des ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie). Schlaksige Verrenkungen, eingeknickte Beine, groteske Mimik: die Kontrolle über den Körper scheint entglitten. Während Siegal und sein norwegischer Tanzpartner Kenneth Flak wie Breakdancer mit Wollmütze und Schlabberhose, über scheinbar alltägliche Dinge diskutieren, am Tisch sitzend über Kaffee, Kamele und Lamas plaudern, vereiteln ungelenke Gebärden, undefinierbares Geplapper und nicht zuletzt – vom Flautato bis zum Fortissimo – ein wild gewordener Cellist die Kontinuität der Kommunikation.

Siegal schwenkt mit einer Videokamera durch den Raum, aber immer nur das Auge, das hineinschaut, schaut auch aus den Monitoren heraus. Im Reich der unbegrenzten Möglichkeiten wird interaktiv mit Motion-Capture-Technologie, Live Electronik und Gesten-Erkennung gezaubert. Woher die animierte Schrift, die digitalisierten Bilder, die Schattenfiguren, die Licht- und Knalleffekte kommen, wie sie entstehen, was vorprogrammiert, was unmittelbar generiert wird ist nicht nachvollziehbar – dennoch faszinierend. Siegal spricht vom „if/then“ System, von Regelkreisen und Flussdiagrammen als organischen Ordnungsprinzipien. Er spricht – zumindest im Programmheft – nicht von Don DeLillos postmodernem Roman „White Noise“. Der aber ist Ausgangspunkt und Textresource.

Allgegenwärtige Geräuschkulissen, Reizüberflutung, Werterelativismus und emotionale Indifferenz sind Thema. „But where danger is, grows saving power also.“ Das Wort Danger (Gefahr) mutiert zu Anger (Ärger), schließlich zu Angst. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ – dass Hölderlin, zumal in Englisch, das letzte Wort erhält, überrascht. Siegal, perfekt in der Strukturierung von Raum und Zeit, lässt den roten Schriftzug letztendlich von unzähligen grünen Pixelchen auffressen. Das Publikum ist amüsiert. Unkonventionelle Kunstvermittlung – auch das ZKM ist einmal mehr seinem Ruf gerecht geworden. Und die Ballettgäste, bei der Premiere in der ersten Reihe, sind restlos begeistert.

Weitere Vorstellungen: heute, 17.2., 20.30 Uhr in der Muffathalle München, www.muffatwerk.de

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