„Menschliche Schandflecken beseitigt“

Irene Schröder und Héctor Solari stellten in der kleinen szene in Dresden das gemeinsame Video-Tanz-Projekt „Outer Cold“ vor

Dresden, 22/12/2009

Eine Projektion auf vier, sich versetzt zu einer Wand vereinenden Flächen empfängt die Besucher in der kleinen Szene der Sächsischen Staatsoper Dresden, und erst beim genaueren Hinschauen wie auch mit der Geräuschkulisse erschließt sich die vervielfachte Aufnahme. Das sind schlichtweg auf Video gebannte große Regentropfen, die da auf eine Glasscheibe plattern, und es ist ein Ort assoziiert, der irgendwo, nirgendwo sein kann. Vielleicht die Bildmetapher für unendliches Warten auf Erlösendes, ein Ausharren ohne Fluchtmöglichkeit. Oder einfach nur etwas Entspannendes, die Gewähr für das immer Wiederkehrende in den Abläufen der Natur. Die vier Tänzerinnen, die schließlich im veränderten Bildfries mit ihren Schatten wahrzunehmen sind, bewegen sich zunächst kaum. Sie verharren, suchen nach Zeichen in der Körpersprache, sinken zu Boden, „rollen“ langsam auf das Publikum zu. In der grafisch-diffusen Projektion lassen bewegte Umrisse eine Vielzahl von Panzern erahnen, die mit ihren Kanonenrohren nach Zielen suchen. Ein Szenario, so real wie fiktiv, ein Bild, in dem sich Menschen in dunkler Nähe auflösen.

Die aus Dresden stammende, an der Hochschule für Musik in Köln ausgebildete Tänzerin Irene Schröder hat jetzt nach mehreren Arbeiten ihre erste größere Choreografie „Outer Cold“ vorgestellt. Und das als gemeinsames Video-Tanz-Projekt mit Héctor Solari aus Uruguay, der seit 1987 in Europa lebt und nun in Dresden. Irene Schröder ist auch als Tänzerin in der Aufführung dabei, und mit ihr sind es ebenso die Absolventinnen der Kölner Ausbildung Marie-Laure Fiaux und Andrea Schiefer sowie Miriam Welk. Diese studierte Tanzpädagogik und zeitweise auch Choreografie, war schon vielfach in der Dresdner Tanzszene zu erleben. Beeindruckend ist, wie es der jungen Choreografin gelingen konnte, so markante Darstellerinnen zusammenzubringen. Jede mit unterschiedlichen künstlerischen Prägungen und Erfahrungen, auffallend intensiv, absolut unverwechselbar. Es besticht auch die Ernsthaftigkeit des Erzählens, wo es nicht um ein konkret fassbares Thema geht, eher um Haltungen, Situationen, Assoziationen. In den von Solari sensibel akzentuierten Raumbildern – sie sind offen für Deutungen, Emotionen, Parallelen - wird dem Publikum nicht überdeutlich suggeriert, woran es zu denken, zu fühlen hat. Aber es kommt auch nicht umhin, die Willkür, Gewaltbereitschaft, jene lauernde Gefahr als etwas Allgegenwärtiges zu begreifen. Dazu bringt Tobias Herzz Hallbauer einen fragilen Sound, arbeitet mit eindringlichen Klangcollagen, die das Ganze zu einem Video-Tanz-Musik-Projekt erweitern. Welches in seiner Gesamtstruktur signifikante Qualitäten aufweist, die auch in unterschiedlichen Aufführungsstätten zur Wirkung kommen können.

Die grafisch verwandelte Stadtdraufsicht übrigens könnte bald überall sein, und die Tänzerinnen im Blickfeld davor begegnen und beobachten sich. Überraschend wechseln die Bilder – eine farbige Küchenszenerie deutet auf eine Alltagssituation hin, und die vier hetzen durch den Raum, kommen sich in die Quere, beginnen in sich steigernder Intensität und Härte jenes verdrängende Jerusalem-Spiel, wo einer immer auf der Strecke bleibt: ausgestoßen, ausgeschlossen, ausgesondert. Dazu der unverbindliche, fast plaudern vorgetragene Text eines Sprechers, der von der großartigen Stadt erzählt, mit ihrem wuchernden Grün und allem, was man sich nur wünschen kann. So ganz nebenbei sagt er, dass auf dem Weg zur lebenswerten Stadt diese nun bereinigt sei von allen baulichen und menschlichen Schandflecken, und die konstruktive Säuberungsaktion habe viel Erfolg gehabt durch die tatkräftige Unterstützung weiter Bevölkerungsteile. Dabei „kuscht“ er die neben ihm Sitzende, welche mit verzweifelten Gesten versucht, auf das Schicksal der Entschwundenen aufmerksam zu machen.

Da ist man auch gleich wieder erinnert an jene Szene, wo diese junge Frau von einer Nachbarin erzählt, der sie zuweilen begegnet und die nun nicht mehr da ist. Das graue Kleid, das sie dabei in beredter Weise um ihren Körper legt, wird auch zur Schlinge, und ist schließlich eine leere Hülle an der Wand, mit der Kontur eines Körpers, aus dem das Leben genommen ist. Wohl jeder hat in seinem Leben irgendwann Gewalt erfahren, aber für Héctor Solari, von dem auch Texte in der Aufführung stammen, ist das mit extremen Erfahrungen belastet, die aus der Zeit der Militärdiktatur in Uruguay stammen, Hunderttausende waren davon betroffen, und es sind die Nachbarn, die Freunde, die Verwandten, die da eingesperrt, gefoltert wurden, denen man die neugeborenen Kinder nahm, die für immer verschwunden blieben. Man nannte sie Desaparecidos. Und noch heute, nach mehr als zwei Jahrzehnten, finden sich auch in Uruguay immer wieder grausame Spuren dieser Verbrechen, Die Schuldigen aber sind dafür kaum verantwortlich gemacht worden.

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