Im Zeichen des Vermächtnisses von John Cranko

Kenneth MacMillan: „Lieder von Leben und Tod“

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Stuttgart, 01/12/2009

Gut zwei Monate nach Beginn der neuen Spielzeit endlich die erste Premiere des Stuttgarter Balletts! Premiere? Zwei Wiederaufnahmen von Balletten Kenneth MacMillans: „Das Lied von der Erde“ und „Requiem“, gebündelt unter dem Titel „Lieder von Leben und Tod“. Und doch so viel mehr als die sonst übliche Neueinstudierung von Balletten, die dem Repertoire fast schon verlorengegangen schienen. Zwei Ballette, die bei ihrer Uraufführung 1965 und 1976 nicht nur identitätsstiftend für das noch junge Stuttgarter Ballett gewirkt haben, sondern darüber hinaus das Tor zu einem neuen Verständnis des sinfonischen Balletts weit geöffnet haben. Cranko als der große Ermöglicher des Balletts, der seinem Kollegen und Freund Kenneth MacMillan die Chance bot, Gustav Mahlers „Lied von der Erde“, die ihm vom englischen Royal Ballet verweigert wurde, mit der Stuttgarter Kompanie einzustudieren.

Das war damals noch ein heikles Unternehmen, denn Mahler galt trotz der Tudorschen „Dark Elegies“ zu den „Kindertotenliedern“ als zu seriös, um „verballettisiert“ zu werden – und auch der Stuttgarter Generalintendant Walter Erich Schäfer hatte seine Bedenken. Cranko und MacMillan gelang es, sie auszuräumen, und so wurde die Premiere des „Lied von der Erde“ vor ziemlich genau 44 Jahren zu einem zunächst nicht ganz umstrittenen, sich aber dann doch relativ schnell durchsetzenden, inzwischen weltweit bestätigten Erfolg, von dem nachgerade das gesamte kompositorische Oeuvre Mahlers profitiert – namentlich durch die konzentrierten Anstrengungen von Maurice Béjart und, noch umfassender, John Neumeier. Und auch Cranko selbst profitierte davon, indem er sich an die Kreation seiner „Initialen R.B.M.E.“ zu Brahms´ gewaltigem Klavierkonzert wagen konnte, das zu einem Schlüsselwerk des Stuttgarter Balletts wurde: als über seinen allzu frühen Tod von 1973 hinauswirkendes Denkmal der freundschaftlich-familiären Verbundenheit der Tänzer mit ihrer Kompanie. Insofern gebührt dem „Lied von der Erde“ der balletthistorische Denkmalsschutz.

Und so war es für Marcia Haydée als Cranko-Nachfolgerin eine Ehrensache, für die erste von ihr verantwortete Ballettpremiere MacMillan einzuladen, für das Stuttgarter Ballett ein Werk „in memoriam John Cranko“ zu choreografieren – eben das „Requiem“ von Gabriel Fauré, mit ihr selbst als Zentralfigur an der Seite von Richard Cragun, Egon Madsen, Birgit Keil und Reid Anderson – wie sie schon zwölf Jahre zuvor mit damals noch Ray Barra und Madsen eine der drei Hauptrollen im „Lied von der Erde“ kreiert hatte (in einem Programm, das damals außer dem „Lied von der Erde“ noch die deutsche Erstaufführung von MacMillans „Danses concertantes“ und die Uraufführung von Crankos „Opus 1“ brachte – so großzügig ging‘s damals noch in der Programmgestaltung zu).

Aus diesem Anlass wieder einmal im ersten der inzwischen prall gefüllten zwölf Ordner zur Stuttgarter Ballettgeschichte gekramt und siehe da: der Premierenzettel vom 7. November 1965 lässt einen ganz nostalgisch werden, weist er doch neben dem Protagonisten-Trio die Namen von Ana Cardus, Bernd Berg, Ilse Wiedmann, Dennis Griffith und Truman Finney aus. Genau wie elf Jahre später der Besetzungszettel vom 28. November 1976 außer den schon genannten die Namen von Lucia Isenring, Eileen Brady, Angela Schmidt, Barry Ingham, Christian Fallanga und Carl Morrow. Wenn das kein Grund ist, nostalgisch zu werden!

Und so schieben sich in dieser vierten Vorstellung der Wiederaufnahme-Premiere unabweisbar die Erinnerungsbilder an die Zeit, da man selbst noch vierzig Jahre jünger war, vor die Enkelgeneration der heutigen Tänzer. Die mit Jason Reilly und Friedemann Vogel nebst Alicia Amatriain im „Lied von der Erde“ und mit Elizabeth Mason, Laura O‘Malley und Oihane Herrero und der gern wieder zurück willkommen geheißenen Bridget Breiner und mit Roland Havlica, Alexander Jones und William Moore sowie Jiří Jelinek und Damiano Pettenella die Patina-Ablagerungen wie weggeblasen erscheinen lassen. Wobei man ausgesprochen dankbar ist, dass die Stuttgarter Staatsoper sich nicht, wie heute leider üblich, mit einer musikalischen Begleitung vom Tonband begnügt, sondern live mit den Gesangssolisten Michaela Schuster und Erin Caves sowie Olga Polyakova, Motti Kastón und dem Extrachor sowie dem Staatsorchester unter der Leitung von James Tuggle musizieren lässt.

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