Stücke, die 60 Jahre choreografischer Geschichte der Meisterin spiegeln

Die Martha Graham Dance Company gastiert in der Staatsoper

Berlin, 07/07/2008

Es war ein bewegendes Bild, als sich zum Schlussapplaus beim Gastspiel der Martha Graham Dance Company 1987 an der Komischen Oper der Vorhang öffnete: Auf einem Sessel saß da in elegantem Goldlamé nach einem Entwurf von Calvin Klein unnachahmlich würdevoll jene Frau, die nicht nur 1926 Amerikas älteste Modern-Dance-Company gegründet, sondern mit ihrer speziellen Technik und den darauf aufbauenden Choreografien dem Modern Dance überhaupt erst ein Gesicht gegeben hatte. Noch immer schön war sie und von faszinierender Persönlichkeit.

Grahams Tod 1991, mit fast 97, stürzte ihre Gruppe in einen würdelosen Streit um Aufführungsrechte, der erst 2005 beendet werden konnte. Seither führt Janet Eilber, langjährige Solistin und Graham-Vertraute, die Company auch international wieder von Erfolg zu Erfolg. Bewahrung des Erbes aus fast 180 Choreografien und behutsame Öffnung hin zu neuen Werken lautet ihre Aufgabe. Seit einem Auftritt beim Festival „Tanz im August“ 1996 gastiert Amerikas Firmenschild des Modern Dance nun erstmals wieder in Berlin und hat für die Lindenoper zwei Programme aus insgesamt acht Stücken mitgebracht, die 60 Jahre choreografischer Recherche der Meisterin spiegeln und sämtlich Tanzgeschichte geschrieben haben. Dass zugleich Raum bleibt für die aktuelle Auseinandersetzung mit Grahams Hinterlassenschaft, sichert einer Company mit großer Vergangenheit auch eine Zukunft.

Griechische und biblische Mythen sowie Elogen auf die Pioniere des neuen Amerika waren lange Grahams bevorzugte Themen. Mit einer die natürlichen Muskelzustände zwischen Spannung und Entspannung nutzenden Bewegungssprache, stets barfuß getanzt, gestaltete sie vor allem Frauenschicksale auf der Basis der damals neuen Erkenntnisse aus der Psychoanalyse. Die innere Landschaft der Seele wollte sie damit sichtbar machen. Gleich mehrere der Gastspielstücke gehören dieser Richtung an. Alle verzichten sie auf szenische Verwandlungen, verändern kaum das Licht, konzentrieren einzig auf die Figuren und ihre seelischen Vorgänge, visualisiert durch puren Tanz. Was Graham indes über Stilgrenzen hinweg mit der etwas zeitigeren Ballettrevolution hauptsächlich eines Diaghilew verbindet, ist ihre innovative Zusammenarbeit mit Gegenwartskünstlern: namhaften Bildhauern fürs Bühnenbild, Komponisten von Rang.

So stammt die Szenerie zu „Errand into the Maze“ (1947) von Isamu Noguchi, die Musik von Gian Carlo Menotti. Aus Theseus’ Ringen mit dem Minotauros wird in dem Halbstünder der Kampf einer Frau gegen den gehörnten Dämon in ihr. Gemäß der Devise, Frauen an-, Männer auszuziehen, hüllt Graham die Frau in ein schlangenumwundenes Langkleid, den Mann in eine Badehose ebenfalls mit Schlangenmotiv. Zudem engt ein Joch zwischen Oberarmen und Hinterkopf seine Bewegungsfreiheit empfindlich ein. Zu dramatischem Klang durchleidet die Protagonistin den athletischen Angriff des Stiers, findet nach dem Sieg Zuflucht in einer gehirnartigen Skulptur. Dort triumphiert sie in der berühmten Pose der kretischen Schlangenpriesterin.

Archaisch, bodennah, bisweilen pathetisch, immer bildhaft und hoch stilisiert ist auch das Bewegungsvokabular in „Cave of the Heart“ (1946), einer Medea-Paraphrase. Der wilde Schmerz der Verratenen prallt hier auf die unbeschwerte Liebe eines soldatisch straffen, zeremoniell steifen Jason und seiner Kreusa; eine Frau tanzt den kommentierenden Chor. Zum tiefen Eindruck dieses aufwühlenden Meisterwerks aus einer Folge charakterisierender Solos und Duos trägt auch Noguchis wippendes Metallgerüst bei, Hort der Rachegelüste, innerer Käfig, später Medeas Flugapparat.

Weniger brachial geht es in „Diversion of Angels“ (1948) zu, Grahams Hommage an das OEuvre des Malers Wassily Kandinsky. In wiederum präzis komponierter, emotional streng kalkulierter Diktion lässt die Choreografin drei Stadien von Liebe, jugendlich ungestüm, aufflammend, abgeklärt, drei Lebensalter einer Frau auch, über die Bühne ziehen. Der älteste Beitrag des Abends, Graham selbst in ihrem Signatursolo „Lamentation“ (1930), läuft als Film. Drei Choreografen, Aszure Barton, Richard Move und Larry Keigwin, nehmen in Auftragswerken der Company darauf Bezug, gestalten Klage mit ihren Mitteln, ob als Frauenduett, Frauensolo, Gruppenstück. Unvermutet heiter und altersweise klingt das Programm A aus. „Maple Leaf Rag“ (1990) ist nicht nur Grahams letztvollendete Choreografie, sondern zur lebenslang favorisierten Musik Scott Joplins auch ihr ironischer Rückblick auf den eigenen choreografischen Kosmos. Auf einer schwingenden, zum Brett verbreiterten Ballettstange und um sie herum tummeln sich Liebespaare, zitieren amüsant und grotesk verfremdet, was der Meisterin einst in heiligem Ernst aus der Bewegungsseele geströmt war. Wer Graham bis dato „nur“ verehrt hat, wird sie danach lieben – und ihre wunderbar stilgetreuen Tänzer sowieso.

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