Tanzgenerator Bonn startet
Neue Kraftzentrale für Tanz in der Brotfabrik
Die vorige Woche war so bunt wie voller Überraschungen. Zuerst erhielt ich eine Einladung nach Bad Ems, nicht per Depesche, sondern E-Mail, zu einem Ball der anderen Art, und das wieder hätte gut gepasst zur Depesche. Denn es war ein Ball, der historische Tänze zum Inhalt hatte, die nicht nur von Profis gezeigt wurden, sondern die Ballbesucher lernten selbst kurze Tanzchoreografien in einem der wunderbaren Foyers des Kurhauses und Casinos, das aus der Zeit stammt, als Wilhelm I. eben jene Depesche während eines Kuraufenthaltes erhielt, die zuerst den Krieg 1870/71 gegen Frankreich nach sich zog und schließlich die Gründung des Deutschen Reichs.
In Bad Ems hat ein ehemaliger Tänzer der Deutschen Oper Berlin ein Ballettstudio und was besonders ist, er war ein Lieblingsschüler von Manfred Taubert, der eine Professur an der HdK in Berlin hatte und den Deutschen Tanzpreis erhielt, den er aber nicht mehr entgegennehmen konnte, da er kurz vorher, sehr typisch für ihn, das Zeitliche segnete. Das ist mal etwas Anderes, dass die Ballbesucher unter Anleitung, teilweise im Kostüm der Zeit, tanzen und offensichtlich viel Freude dabei haben. Mit von der Partie war auch Sabine Roth, die in Berlin Kreuzberg ein Studio hat und ebenfalls bei Taubert studierte. Bei der Kölner Sommerakademie, wo Taubert sein Wissen verbreitete, lernte auch ich ihn kennen und mich haben diese Tänze, die ich bei Gisela Reber an der Folkwang-Hochschule in ähnlicher Form schon gelernt hatte, immer fasziniert. Aber damals handelte es sich um Bühnentänze mit Entrechat und Tour en l‘air, für die man schon Technik brauchte. Aber das man die Gesellschaftstänze der Zeit mit so viel Spaß machen kann, kannte ich nur vom Opernball.
Die nächste Überraschung war das neue Stück von Karel Vanek, das er mit Guido Preuß erdacht und mit einem tschechischen Musiker/Komponistenfreund Vojtech Havel geplant hat und in der Brotfabrik der Stadt Bonn aufführte. Warum es den englisch-deutschen Titel „Hidden Tracks – Trampelpfade des Glücks“ hat, hat sich mir, wie so oft, nicht erschlossen, wenn wir doch auch den Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfad“ auf Deutsch nennen dürfen und in meinem Ohr würde dieser Titel diesem höchst poetischen 70-Minuten-Stück von Karel durchaus gerecht. Mit Janáček hat es wirklich nichts zu tun und „Hidden Tracks“ verdient mit seiner Cello-Technik großes Lob. Ich habe noch nie gesehen, welche „erotischen Reaktionen“ man aus diesem Instrument im wahrsten Sinne des Wortes herauskitzeln kann. Aber Havel beherrscht auch das Grand Piano, was mich gelegentlich an John Cage erinnert hat, aber nur in der Art wie er das Instrument verfremdet. Beide Künstler, abwechselnd solistisch und dann doch wieder als Ergänzende, haben mich in einer Stern-Stunde gefesselt. Karel entwickelt sogar einen Touch von Exhibitionismus, was auf diesem „Weg im Verborgenen“ mit seiner sparsamen Dekoration aus verschiedenen großen Lichtringen und wundersamer Lichtpoesie erlaubt ist, ja sein muss.
Dann wollte ich noch das neueste Stück von Christoph Winkler in den Sophiensälen Berlin anschauen, aber die vier angekündigten Termine waren leider ohne Kommentar aus dem Programm gestrichen.
Zum Abschluss der Woche habe ich die Premiere des Staatsballetts Berlin gesehen. Eröffnet wurde der Dreiteiler mit Nacho Duatos „Castrati“, das wirklich eine effektvolle starke Choreografie ist, in der es um das tragische Schicksal der Kastratensänger in der Barockzeit geht. Schon während des Stücks riss es die Berliner nach dem starken Auftritt von acht Tänzern in schwarzen Capes, Korsagen und fleischfarbenen Trikots zu Szenenapplaus hin. Der wunderbare Wei Wang, Darsteller des Kastraten, war ähnlich gekleidet, jedoch ohne Mantel, den die anderen streckenweise allerdings auch ablegten, wenn sie den Jungen misshandelten, was für mich einen Touch von SM hatte, und das lag an den gestylten Kostümen von Francis Montesinos. Wenn ich noch etwas Negatives zu den Kostümen dieser beachtlichen Choreografien sagen darf: Der sich auf höchstem Niveau windende Knabe, wie auch die Bösen, bekommen durch die Trikots einen Touch von Barbie-Puppen.
Da lob ich mir Jiří Kyliáns „Petite Mort“, das letzte Stück des Abends. Da sind die degenfegenden Kavaliere ohne Trikots, so dass sie es leichter haben, den Kerl zu markieren. Das Stück mit den schwebenden Barockkostümen der Frauen hat nichts von seinem Reiz eingebüßt und zeigt einmal mehr, was Jiří an Witz und Boshaftigkeit gleichermaßen austeilen kann und wie er damit aufs Schönste Mozart gerecht wird. Übrigens war es das am besten beleuchtete Stück dieser Premiere. Licht spielt wiederum bei dem Israeli Ohad Naharin gar keine Rolle. Man tanzt und vergnügt sich auf scheinbar unbeabsichtigte Art, wenn man sich amüsieren will. Das kommt beim Publikum noch besser an als die formstrengen Rahmenstücke. Der Choreograf bedient sich bei allen Stilrichtungen bis hin zu Rock´n Roll und den Tänzern des Staatsballetts sieht man an, dass sie Spaß haben. Naharin hat daraus eine Art Philosophie gemacht, was, wie man sieht, seine Wirkung nicht verfehlt – bei den Anderen … Aber noch etwas habe ich fast vergessen, was mich geärgert hat am Ende dieses großen Abends. Bei Deutschlands Hauptstadtkompanie haben mir die Gastchoreografen zum Schlussapplaus gefehlt. Ich empfinde das als eine Missachtung des Publikums und der Tänzer dieser Metropole. Oder sollte da ein verdeckter Streik angesteckt haben? Aber die Gage wurde sicher nicht einbehalten …
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