In neue Räume aufbrechen
Die Preisträger*innen des Deutschen Tanzpreises 2024
Wer sich die Erlösung Wagners durch das Tanztheater erwartet hatte, musste am Ende dieser „Tannhäuser“-Inszenierung durch Sasha Waltz an der Staatsoper Berlin doch wieder enttäuscht sein. Was der seligen Pina mit Glucks „Orpheus“ einst gelungen war, Sänger, ihre Tänzer-Double und die Compagnie in einer choreografischen Deutung aufzulösen, es ließ sich an der Staatsoper mit Wagners Lust- und Sühne-Werk nicht erzielen. Obwohl gerade diese psychologischen Untergründe und seine durchaus tänzerische Musik eine rein choreografische Umsetzung herausfordern würden.
Doch zu sehr fügte sich Waltz dem konkreten Handlungskorsett, statt die Gefühle und Seelenlagen abstrakt auszudrücken. Und die realistischen Sängerkostüme von Bernd Skodzig bremsten eine abstraktere Lesart endgültig aus. Wenn die ritterliche Jagdgesellschaft im 1. Akt, Sänger wie Tänzer, Gehrock tragen, dann bleibt es eben bei ein paar Freudenhopsern und freundlich dem nächsten auf die Schulter gelegten Armen - sieht dann aber auch mehr nach der Pantomime des 1. Giselle-Akts aus, denn nach inhaltlicher Deutung. Ansätze zu freierer tänzerischer Gestaltung gibt es auch hier, wenn die Tänzer den erstaunlichen Walzertakt aufnehmen oder für den Schwung im Abgehen einen Schlusskreisel bilden. Mehr als die Jacke auszuziehen oder die Schuhe zu binden hätte es schon sein müssen, um die Zugeknöpftheit der Wartburgritter und das langsame Warmwerden mit dem abtrünnigen Tannhäuser auf der psychologischen Ebene zu erzählen.
Dabei hatte das Eröffnungsbild des Venusbergs noch Hoffnung gemacht: Zur Ouvertüre strahlt die Venus als Planet im Bühnenhintergrund, bis im heller werdenden Licht sichtbar wird, dass es sich um einen begehbaren Trichter handelt, die Venusgrotte, aus der heraus die nackten Tänzer geboren werden. Das ist Uranfang, ergibt Vulva-Assoziationen und wird dann auch so kreatürlich-sexuell bespielt, wie Wagner es in seinem für die Pariser Aufführungen nachkomponierten Bacchanal beschrieben hat. Die schrägen Seitenwände machen es den Tänzern zwar nicht leicht, doch hier erinnerte das körperliche Erkunden an Waltz' starke „Körper“-Trilogie aus Schaubühnen-Tagen. Erotik in aller Unschuld, die erst durch das Auge des Betrachters (und an ein Auge erinnerte diese Grotte auch) zur Sünde wird.
Hier gelingt auch die Integration der Sänger: Marina Prudenskaya ist eine schlanke Venus, umspielt von Tüll und langem Haar, mit einem sinnlich vollen Mezzosopran, die sehr gut zu den Tänzern passt. Sorgsam wird auch Peter Seiffert als Tannhäuser eingeführt, ein vollschlanker, reifer Sänger, der für diese Inszenierung sicher nicht ideal ist. Eigentlich müsste Tannhäuser ein Rocker sein, ein Ausbrecher aus der scheinheiligen Wartburgwelt, voll auf Sex und Drogen. Aber solange Mick Jagger dafür nicht zur Verfügung steht und Jonas Kaufmann die Partie noch nicht singen kann, wird die Oper, wenn man nicht ganz auf Double gehen will, hier Kompromisse machen müssen. Seifferts Tenor jedenfalls ist grandios, strahlkräftig, unermüdlich und in der Rom-Erzählung von großer Expressivität.
Im 2. Akt, einem Wartburgsaal aus hängenden Edelhölzern, mischen sich Tänzer unter die Ballgesellschaft. Ob ihr gelegentliches stroboskopähnliches Hüpfen schon als Kommentar einer wie aufgezogen funktionierenden Gesellschaft gelten kann, sei dahingestellt, es mangelt Waltz leider grundsätzlich an Stellungnahme zur Handlung. Gut, nachdem die Herren ihre Damen vor sich gedreht haben wie ein Rad, werden sie prompt von den Damen wie ein Knäuel in die Szene geworfen, das ist eine lustige Antwort auf den waltenden Machismus. Dass die Herrn bei Wolframs platonischem Preislied ihre Köpfe an die Frauenhälse schmiegen, bei Tannhäusers geilem Liebeslustsong aber mit den Händen die Brüste der Frauen rubbeln, wirkt recht platt umgesetzt. Gut dagegen der Rock'n'Roll, wo Wagner Tannhäuser rocken lässt, das liegt in der Musik. Aber die Gesellschaft ist nicht bereit zur Freiheit, sie darf auch nicht lächerlich sein, denn noch ist ihre Macht stark genug, Tannhäuser für seine Sinnenlust zur Reue nach Rom zu schicken. Während Elisabeth, die dieses Recht für ihn statt der Hinrichtung erwirkte, auf den Schultern der Tänzer wie eine Madonnenstatue getragen wird, bis sie am Ende kippt.
Da Waltz den Sängern keine Doubles gibt, bleiben die langen Arien des 3. Akts einsame Oper auf leerer Bühne. Ann Petersen singt Elisabeths Gebet mit füllig höhensicherem, aber auch schon reichlich vibrierendem eher dramatischem Sopran. Stern des Abends ist Peter Mattei, der Wolframs Lied an den Abendstern mit betörend schönem, weich und warm ansprechendem Bariton hochnuanciert gestaltet.
Tanz gibt es nur in Verlängerung der Pilgerchöre: Da rollen die Tänzer über die Knie, rutschen bäuchlings auf dem Boden oder werfen die Arme wie zur Anrufung über sich. Und wenn Tannhäuser nach erfolgloser Pilgerschaft trotzig Venus anruft, kehren die nackten Faune zurück, diesmal aber ohne Grotte. Das wirkt sparsam, zumal die Rückkehr des Kosmischen - vielleicht indem der Trichter alle Streiter wieder aufgesogen hätte - auch interpretatorisch hilfreich hätte sein können. Stattdessen feiert man „der Gnade Wunder Heil“ nicht als Befreiung zum Sinnlich-Natürlichen und nachträgliche Inrechtsetzung Tannhäusers, wie Wagner suggeriert, sondern mit grünen Zweiglein auf der toten heiligen Elisabeth, während ein Nackttänzer im dörren Gestrüpp verharrt. Dort müsste ja eigentlich der vom Gnadenwunder widerlegte Papst stecken. Da Waltz wohl nicht die Moral der Wartburggesellschaft bekräftigen will, zeigt sie also eine von „Hallelujah“-Jubel unbefreite, weiter zwischen Geist und Körper trennende Weltordnung. Tannhäusers Wandel zwischen beiden Welten bringt hier am Ende statt Aufklärung nur Verklärung.
Das hätte Waltz durchgehend stärker herausarbeiten müssen. Die Bewegungslösungen waren oft hochmusikalisch, aber selten raum- und ensemblegreifend genug. Es fehlte an Emotion, auch weil sie die emotionstragenden Arien nicht umsetzte. Vielleicht sollte Waltz es noch einmal mit Sängern und Chor aus dem Graben versuchen. Dort sorgte Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin für eine klangprächtige, dynamisch differenzierte und bewegende Interpretation. Am Ende viel Jubel, für Waltz auch manches Buh.
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