Römischer Karneval aus der Second-Hand-Designer-Boutique

Hector Berlioz' „Benvenuto Cellini“ leitet eine neue Ära ein

oe
Nürnberg, 07/12/2008

Nürnberg hatte zuletzt Ballettaufruhr verursacht, als Daniela Kurz kündigte, um sich so der Zumutung des neuen Intendanten zu verweigern, ihre Tänzer für eine Musical-Produktion pro Spielzeit zur Verfügung zu stellen. Nürnbergs neuer Staatsintendant heißt Peter Theiler und kommt aus Gelsenkirchen. Dort hatte er vor ein paar Jahren Berlioz´ Semiseria „Benvenuto Cellini“ herausgebracht – in einer ziemlich provinziellen Aufführung (ohne Mitwirkung von Bernd Schindowski – mit einer Pantomimegruppe). Jetzt hat er „Benvenuto Cellini“ als Auftaktproduktion der neuen Nürnberger „Ära“ angesetzt – ohne irgendwelche Gelsenkirchner Altlasten – und man reibt sich die Augen: ein römischer Karneval mit fränkischem Esprit.

Zustande gebracht hat dieses Wunder Laura Scozzi, die für Inszenierung und Choreografie verantwortlich zeichnet (mit Guido Johannes Rumstadt als etwas bieder-krachledernem musikalischen Leiter, Barbara Limburg und Jean Jacques Delmotte als totschicken Designern) und einem handverlesenen Solistenensemble nebst dem bestens aufgelegten Chor und sieben Tänzern, von denen keiner auf der Mitgliedsliste von Monteros Ballett fungiert.

Scozzi ist eine italienische Choreografin, an deren französische Brecht-Weillsche Fernseh-„Todsünden“ ich eine eher negative Erinnerung habe. Sie war als Choreografin auch an der französischen Produktion von Rameaus „Platée“ beteiligt, die weltweit Furore machte, mir aber reichlich überkandidelt erschien. Dies war wohl ihr deutsches Debüt – und ihr Name dämpfte eher meinen generellen Berlioz-Enthusiasmus. Meine Überraschung war komplett: dies war eine der spritzigsten, einfalls-und temporeichsten und amüsantesten Operninszenierungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe – turmhoch überlegen allem, was mir sonst an Opern von inszenierenden Choreografen à la Schloemer begegnet ist.

Die Lady ist eine veritable Entdeckung; eine Regisseurin, die in der Lage ist, Sänger auch während ihrer vokalen Hochleistungsakte (und davon gibt es in „Benvenuto Cellini“ mehr als genug – und die Sänger werden ihnen bewundernswert, wenn auch durchweg zu lautstark gerecht) so locker herumtollen zu lassen, als wenn ihre Koloraturen, Triller und Skalenstürze als Mechanismen ihrer Bewegungsmotorik dienten: Bravourös! Die Nürnberger haben sich ihre eigene Fassung erarbeitet – ohne Dialoge, serviert mit umwerfender Nonchalance. Es war eine hinreißende Produktion dieses hermaphroditischen Musiktheater-Zwitters –, die komödiantischste, die ich nach Wuppertal, London, Strasbourg, Gelsenkirchen, St. Petersburg und Zürich je erlebt habe.

An sich habe ich für choreografische Operninszenierungen nicht viel übrig, die getreulich auf jeden musikalischen Akzent eine gestische Pointe setzen (die Hamburger Balanchine-Produktionen sind mir da in schrecklicher Erinnerung – wie auch die Schwetzinger Rossinis von Michael Hampe). Aber hier schien der Tanz den Sängern geradezu aus der Kehle zu purzeln. Dabei war das eine ganz moderne Inszenierung, dekorativ bestückt mit lauter Second-Hand Objekten aus der Designer-Boutique. Wie gesagt: bravourös! Laura Scozzi: ein Name, dem wir gern öfter in unseren Opernlanden begegnen würden.

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